Versuchskaninchen - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Mon, 11 Nov 2019 17:16:29 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Versuchskaninchen - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Kinder als Versuchskaninchen missbraucht https://condorcet.ch/2019/11/kinder-als-versuchskaninchen-missbraucht/ https://condorcet.ch/2019/11/kinder-als-versuchskaninchen-missbraucht/#respond Sun, 10 Nov 2019 09:55:11 +0000 https://condorcet.ch/?p=2781

Condorcet-Autor Roland Stark dokumentiert anhand prägnanter Beispiele, wie unsere Kinder als Versuchskaninchen missbraucht werden. Der ehemalige Parteipräsident der SP-Basel-Stadt war Sonderpädagoge und hatte die Abschaffung der "Kleinklassen" kritisiert. Die Entwicklung hat ihm schon längstens recht gegeben. Und er erinnert an ein Phänomen, dass der Pädagogik-Professor Roland Reichenbach einst als Concorde-Falle beschrieben hat.

The post Kinder als Versuchskaninchen missbraucht first appeared on Condorcet.

]]>
Die legendäre Concorde, Inbegriff einer gigantischen Fehlinvestition.

In drei Stunden und 45 Minuten von New York nach Paris – die Concorde war doppelt so schnell unterwegs wie ein normales Passagierflugzeug. 1969 startete das Prestigeobjekt zum Jungfernflug. Unterdessen sind die einstigen Überflieger nur noch im Museum zu bestaunen.

Der enorme Kerosinverbrauch, die begrenzte Reichweite und der ohrenbetäubende Lärm hatten potentielle Interessenten abgeschreckt. Das ehrgeizige Projekt entpuppte sich als Milliarden-Flop.

Der renommierte Pädagogik-Professor Roland Reichenbach hat den Begriff Concorde-Falle auf die Bildungspolitik übertragen. Je länger man einen schlechten Film schaue, umso eher halte man ihn bis zum Schluss durch. Je länger man auf einen Bus warte, desto unwahrscheinlicher rufe man ein Taxi, weil der Bus zwischenzeitlich doch noch eintreffen könnte. Irgendwann sei es zu spät, um aufzuhören. Genau so bei der Concorde: Schon früh war den Beteiligten klar, dass das Projekt ein finanzielles Desaster würde. Aber es steckte viel zu viel politisches Prestige drin, als dass die Verantwortlichen vernünftigerweise Übungsabbruch beschlossen hätten.

Professor Roland Reichenbach: “Zu viel Prestigedenken!”
Bild: Friedrich-Verlag

Reichenbach schreibt, „auch die zeitgenössische Reform des Schweizerischen Bildungswesens wird einmal ein Ende gefunden haben und von anderen – vielleicht weniger selbstsicher auftretenden und weniger effektvollen – Reformen verdrängt werden. Bis dahin wird sie aber noch Bewährtes und weniger Bewährtes zum Verschwinden gebracht haben, offiziell erfolgreich sein, inoffiziell aber scheitern.“

Die Reformen wurden überfallartig von der Bildungsbürokratie über die Köpfe der Betroffenen hinweg durchgezwängt.

Unsinn Integrationskonzept. Im Oktober 2019 hat der Basler Grosse Rat mit 76:12  einen Vorstoss überwiesen, der die Wiedereinführung der Kleinklassen fordert. Damit könnte einer der grössten bildungspolitischen Fehlentscheide der letzten Jahrzehnte korrigiert werden. Man muss daran erinnern, dass ein erfolgreiches Förder- und Integrationsmodell existierte, bevor ihm von den politisch und pädagogisch zuständigen Amtsstellen ohne plausible Begründung das Grab geschaufelt wurde. Dabei wurden sämtliche schon frühzeitig geäusserten Bedenken in den Wind geschlagen.

Die Reformen wurden überfallartig von der Bildungsbürokratie über die Köpfe der Betroffenen hinweg durchgezwängt. Von Beginn an fehlten ausgereifte pädagogische Konzepte ebenso wie die notwendigen finanziellen Ressourcen. Unterdessen leiden an dem Flickwerk sowohl die „integrierten“ Kinder als auch die bisherigen Klassen und die Lehrkräfte. Stattdessen werden die Lehrer von einer Formularflut überschwemmt, die verbunden mit einer engmaschigen Kontrollmaschinerie die seriöse Erfüllung ihres schulischen Kernauftrags behindert.

Die Passepartout-Didaktik wurde nie empirisch erprobt.

Unsinn Fremdsprachenprojekt „Passepartout“. Das Projekt, angetreten mit dem Versprechen, ein besseres Verständnis und eine erfolgreichere Anwendung der französischen Sprache zu entwickeln, entwickelt sich immer mehr zu einem Debakel. Die dabei verwendeten Lehrmittelmittel „Mille feuilles“ und „Clin d’oeil“ wurden nie empirisch erprobt, sondern sofort flächendeckend eingeführt. Kombiniert noch mit der überstürzten Verlegung des Fremdsprachenunterrichts in die Unterstufe.

Eine beim Institut für Mehrsprachigkeit (IfM) der Universität Fribourg in Auftrag gegebene Studie bestätigt abermals, was Lehrkräfte seit der Einführung der erwähnten Lehrmittel immer wieder kritisierten: Mit „Mille feuilles“ und „Clin d’oeil“ werden die Lernziele weitgehend verfehlt. Obgleich es sich bei der Studie bereits um die vierte wissenschaftliche Untersuchung handelt, welche dem Passepartout-Konzept ein miserables Zeugnis ausstellt, marschieren die Erziehungsdirektoren, an deren Spitze Basel-Stadt, stur auf dem einmal eingeschlagenen Weg weiter. Augen zu und durch.

Die teuersten Lehrmittel, die es je gegeben hat (Projektkosten 100 Mio. Fr. plus x), führen zudem auch noch zu einer völlig unsinnigen Materialschlacht. Jahr für Jahr füllen sich Müllcontainer mit Tonnen von weggeworfenen Einweg-Plastik-Dossiers.

„Fächer sind als Wissenssysteme unerlässlich für kognitives Lernen. Es gibt überhaupt keinen Grund für einen heterogenen Fächer-Mischmasch.“ Entwicklungspsychologe Franz E. Weinert.

Unsinn Sammelfächer. Mit dem Lehrplan 21 wurden auch sogenannte Sammelfächer eingeführt. „Räume, Zeiten, Gesellschaften“ (RZG) und „Natur und Technik“ (NT). Geschichte, Geografie, Physik oder Chemie verschwanden aus dem Lehrplan. „Fächer sind als Wissenssysteme unerlässlich für kognitives Lernen. Es gibt überhaupt keinen Grund für einen heterogenen Fächer-Mischmasch“, moniert etwa der Entwicklungspsychologe Franz E. Weinert.

Vier Jahre nach Einführung der Sammelfächer und der Umstellung auf kompetenzorientiertes Lernen verfügen die Schulen noch immer nicht über passende Lehrmittel und auch nicht über genügend qualifizierte Lehrkräfte. Als billiger Ersatz darf dann Prof. Dr. h.c. Google einspringen.

Hoffentlich wird – ähnlich wie bei der Prestige- und Verlust-Concorde – endlich auch bei der Schulreformitis die Notbremse gezogen.

Bitte bald!

 

 

The post Kinder als Versuchskaninchen missbraucht first appeared on Condorcet.

]]>
https://condorcet.ch/2019/11/kinder-als-versuchskaninchen-missbraucht/feed/ 0
Diane Ravitch-Blog: High-School Absolventin in New Orleans kann weder lesen noch rechnen https://condorcet.ch/2019/08/diane-ravitch-blog-high-school-absolventin-in-new-orleans-kann-weder-lesen-noch-rechnen/ https://condorcet.ch/2019/08/diane-ravitch-blog-high-school-absolventin-in-new-orleans-kann-weder-lesen-noch-rechnen/#comments Wed, 28 Aug 2019 14:08:01 +0000 https://condorcet.ch/?p=2065

Sie kann nicht rechnen und liest wie eine Zweitklässlerin. Und trotzdem schliesst Denesha Gray die High-School in New Orleans ab. Wie so etwas möglich ist, erzählt uns das Behördenmitglied Lee P. Barrios im Diane Ravitch-Blog.

The post Diane Ravitch-Blog: High-School Absolventin in New Orleans kann weder lesen noch rechnen first appeared on Condorcet.

]]>

Dennis Lewis erinnert sich deutlich an den Moment. Es war der Beginn des Schuljahres, und er versuchte seine Frau davon zu überzeugen, dass ihre 18-jährige Tochter dringend zusätzliche Unterstützung benötigte, die ihr aber von der High School konsequent vorenthalten wurden. Er zog eine Handvoll Münzen aus seiner Tasche und fragte seine Tochter, wie viel Geld er habe.

Charter School Mc Donogh

“Sie konnte es nicht zählen”, erinnerte er sich. Der Gesichtsausdruck seiner Frau – die nur drei Tage später an einem Aneurysma sterben würde – war versteinert. Denesha Gray hatte gerade die 12. Klasse begonnen. Ein Jahr später, – sie war immer noch nicht in der Lage, grundlegende Rechenoperationen durchzuführen oder einfache Texte zu lesen – lief sie stolz und strahlend über die Bühne der McDonogh 35 Senior High School und erhielt dort ihren erfolgreichen Abschluss.

Denesha litt unter einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, konnte aber trotz mehrerer Vorstösse des Vaters und eines medizinischen Gutachtens den Unterricht an der High School besuchen. Sie konnte kein Geld zählen, und sie las nur so gut wie eine Zweitklässlerin. Sie hätte Anrecht gehabt auf einen individualisierten Stützunterricht. Aber die Schule nahm die Mahnungen nicht ernst.

Und so schloss Denesha Gray 2018 die High School ab, nachdem sie alle Tests bestanden hatte. Ein Sieg für das All-Charter-System, das sie im Stich ließ. Sie wurde fast ausschließlich in einem Schulsystem ausgebildet, das nach dem Hurrikan Katrina als Labor für Bildungsreformen umgebaut wurde. Und Denesha ist kein Einzelfall. Sie ist eines der vielen Opfer eines katastrophalen Schulumbaus, das unsere öffentlichen Schulen in New Orleans in Charter-Schulen umgewandelt hatte. Vernachlässigung oder absichtliche Verweigerung des Rechts eines jeden Kindes auf besondere Unterstützungsmassnahmen sind das eine. Der eigentliche Skandal aber war, dass unser auf Testen bestehendes System offensichtlich nicht in der Lage ist, die gravierenden Schwächen unserer Kind aufzuzeigen. Das wirft auch ein grelles Licht auf die Zahl der angeblich steigenden Abschlüsse.

Viele von uns (gut ausgebildete und erfahrene Bildungsexperten) haben den Fortschritt des als “Reform” bezeichneten Bildungsexperiments in New Orleans kritisch begleitet. Unsere Kinder wurden als Versuchskaninchen für das Experiment verwendet. Es besteht kein Zweifel daran, warum das Experiment fehlgeschlagen ist.

Falsche Hypothesen

Bild: Adobe Stock

Wie bei allen gescheiterten Experimenten war die Hypothese fehlerhaft. Es ist wie bei einem Experiment, das z. B. auf der Idee basiert, dass die Milchproduktion erhöht wird, wenn man das Futter einer Kuh mit Apfelessig ergänzt. Dies ist auch tatsächlich der Fall. Und so nahm man an, dass das Hinzufügen von Essig beim Gießen unserer blühenden Pflanzen die Blüte erhöht. Ein erfahrener Wissenschaftler wird bald einmal erkennen, dass die Übertragung nicht klappt. Die Pflanze wird getötet.

Tod durch Plan

Verantwortlich dafür sind die letzten paar US-Bildungsminister (Duncan, King, DeVos) und unser Staatssekretär John White. Sie liessen es zu, dass unausgegorene Integrationskonzepte, Privatisierungen und vor allem immer mehr unqualifizierte Lehrer (wie Teach for America Rekruten) in unseren Klassenzimmern tätig sind. Hinzu kommt der Mangel an Fachwissen sowie die Macht und das Geld der Geldgeber dieser Experimente wie Bill Gates, die Waltons und Jeb Bush, die darauf bedacht waren, ihre falschen Theorien voranzutreiben. Dann folgte schnell eine lange Liste von Investoren, Politikern und Scharlatanen, und Sie haben das, was wir heute sehen: Unsere Kinder, unsere öffentlichen Schulen und unsere Lehrer “sterben” – und manche von uns würden sagen: “Tod durch Plan”.

Viele Erzieher (und jetzt auch Eltern) auf lokaler, nationaler und sogar internationaler Ebene haben seit Jahren die Reformen und die orchestrierte Übernahme der Schulen von New Orleans nach dem Wirbelsturm Katrina kritisiert.

Die angeblich so guten Testresultate wurden durch ein völlig unbrauchbares Rechenschaftssystem möglich. Es wird manipuliert und getrickst, dass die Balken krachen.

Die wirksamste Waffe, die verwendet wird, um die Zerstörung unseres öffentlichen Schulsystems zu erleichtern, ist die Verwendung unseres standardisierten Tests HIGH STAKES.  Man stelle sich das mal vor. Ein einziger Test, der in Kombination mit den katastrophalen Common Core Standards, nach denen der Test ausgerichtet ist, und der unerprobte Lehrplan (nach dem im Klassenzimmer unterrichtet wird) erlangen die totale Kontrolle über unsere lokalen Schulbezirke.

Die angeblich so guten Testresultate wurden durch ein völlig unbrauchbares Rechenschaftssystem möglich. Es wird manipuliert und getrickst, dass die Balken krachen.

Wir haben die Beweise. Hier ist die Rede von Betrug, Unterlassung und Nötigung. Aber niemand ist da, der diesem Treiben ein Ende setzt, der diesen Skandal untersucht, der Massnahmen ergreifen will. Es ist, als würde man am Fuße des Berges stehen und warnen, dass eine Lawine droht, aber niemand in den Restaurants und teuren Häusern unten will glauben, dass hier eine Bildungskatastrophe ohnegleichen stattfindet.

Auf der Strecke bleiben unsere Kinder, bleiben Denesha Gray, die um ihre Lebenschance betrogen wurde. Lasst uns endlich mit diesem Irrsinn aufhören.

Lee P. Barrios, M.Ed., BESE  Distrikt 1, (BOARD OF ELEMENTARY AND SECONDARY EDUCATION)

Aufsichtsmitglied der Grundschule und des Sekundarschulwesens im Distrikt 1 (New Orleans)

 

The post Diane Ravitch-Blog: High-School Absolventin in New Orleans kann weder lesen noch rechnen first appeared on Condorcet.

]]>
https://condorcet.ch/2019/08/diane-ravitch-blog-high-school-absolventin-in-new-orleans-kann-weder-lesen-noch-rechnen/feed/ 3