Schreiben nach Gehör - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Mon, 09 Dec 2019 22:34:00 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Schreiben nach Gehör - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Kleiner Schreibfehler – grosse Wirkung https://condorcet.ch/2019/11/kleiner-schreibfehler-grosse-wirkung/ https://condorcet.ch/2019/11/kleiner-schreibfehler-grosse-wirkung/#respond Wed, 27 Nov 2019 09:42:55 +0000 https://condorcet.ch/?p=3087

Die SPD des Ortsvereins Mühlheim an der Ruhr wollte der Opfer des Nationalsozialismus gedenken und orderte einen Kranz mit roter Schleife. Eine Floristin nahm die Bestellung auf. Das kam nicht gut!

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Wie es wohl der unbekannten Floristin geht, die da den Auftrag der SPD-Mühlheim telefonisch entgegengenommen hat und auf der Schärpe eines Trauerkranzes aus den Opfern des Faschismus Opfer des “Verschissmus” gemacht hat (aus Cicero 21.11.19)? Dem Vernehmen nach soll sie von sich aus gekündigt haben. Die ganze Republik redet darüber, die Gärtnerei hat eine Klage am Hals und die betroffene SPD wittert eine Verschwörung.

Die Leserinnen und Leser des Condorcet-Blogs werden sich wohl eher an die Methode “Lesen durch Schreiben” oder “Schreiben nach Gehör” erinnern und vielleicht wird auch Condorcet-Autor Hans-Peter Amstutz sich in seiner Befürchtung bestätigt sehen, dass der Geschichtsunterricht an unseren Schulen vernachlässigt wird.

Mein Mitgefühl gilt der unbekannten Floristin, die jetzt zum Sündenbock gemacht wird. Eine Schärpe ist ja keine Anzeige (obwohl auch die vor dem Abdruck einem zugeschickt wird). Die Verantwortlichen hätten ja vielleicht vor der Kranzniederlegung einen Blick auf die Inschrift werfen können.

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Für Sie gelesen: „Deutschland verdummt“ https://condorcet.ch/2019/11/fuer-sie-gelesen-deutschland-verdummt/ https://condorcet.ch/2019/11/fuer-sie-gelesen-deutschland-verdummt/#comments Mon, 18 Nov 2019 11:10:19 +0000 https://condorcet.ch/?p=2889

Alarmiert durch besorgniserregende Schulreformen rechnet der Psychiater Michael Winterhoff schonungslos mit dem deutschen Schulsystem ab. Wie bei vielen Entwicklungen um einige Jahre verspätet, greifen diese, gefördert durch den Lehrplan 21, auch in der Schweiz um sich. Trotz Winterhoffs apokalyptischer Neigung möge sein Buch Lehrkräfte darin bestärken, einen pädagogisch verantwortungsvollen Kurs zu halten oder einen solchen in Erinnerung zu rufen - gerade angesichts der bildungspolitischen Reformhysterie. Vor allem aber sollten es Bildungspolitiker lesen, die sich dazu berufen fühlen, auf einem ihnen fremden Terrain Entscheidungen zu treffen, meint der Sekundarlehrer Felix Hoffmann, der das Buch gelesen hat.

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Felix Hoffmann, Sekundarlehrer, BL, Mitglied LVB, Starke Schule beider Basel

Im Kindergarten und der Grundschule sollen Kinder seit neuestem möglichst frei sein von Erwartungen und Anweisungen der Erwachsenen. Je nach Lust und Laune sollen sie aus einem limitierten Stoffangebot selber entscheiden dürfen, womit sie sich wann, wie und wo beschäftigen wollen. In diesem sogenannten „offenen Unterricht“ sollen sich die Lernenden autonom selbst organisieren. Die von Hattie als erfolgreich bewertete direkte Instruktion und Lehrkräfte als Wissensvermittler haben hier nichts mehr verloren.

Lärmpegel von Kreissägen

Winterhoff bezeichnet dieses System als „Stätten des organisierten Verwahrens“ und macht es verantwortlich für die sprunghaft gestiegene Zahl an psychisch auffälligen Kindern sowie völlig unzureichende Leistungen in Schule und Berufsausbildung. Hierfür nennt er unterschiedliche Gründe. Einer vorneweg: In solchen Lernsettings entstehen Geräuschpegel von bis zu 85 Dezibel. Schreiende Kinder erreichen bis zu 110 dB(A) und übertreffen damit Kreissägen und Presslufthämmer. Wollen sich Lehrkräfte Gehör verschaffen, müssen sie den Geräuschpegel mit ihrer Stimme um 10 bis 15 dB(A) übertreffen. Weit verbreitete Stimmbandprobleme unter Lehrpersonen sind die Folge.

Die Methode “Reichen” als mahnendes Beispiel

Ein weiterer Grund für abnehmende schulische Leistungen erkennt Winterhoff in den von oben nach unten verordneten Unterrichtsformen, die den Erfahrungen der Lehrkräfte widersprechen und sich somit als nicht zielführend herausstellen. Als Beispiel verweist er u.a. auf die Methode „Schreiben nach Gehör“ des Schweizers Jürgen Reichen, die während zwanzig Jahren Heerscharen von Schülern mit katastrophalen Orthographiedefiziten zurückliess. Deshalb wurde sie in etlichen deutschen Bundesländern und u.a. im Kanton Nidwalden verboten.1 Nebenbei bemerkt, wird Reichens zweite Methode, „Lesen durch Schreiben“, die ebenfalls auf der völligen Vernachlässigung von Regeln basiert, auf das Schuljahr 2020/21 im Aargau untersagt.2

Regeln? Wir brauchen keine Regeln!

Methode Reichen

In den Reichen-Methoden erkennt Winterhoff eine grundsätzlich negative „Einstellung der 68-Generation gegenüber gemeinschaftsstiftenden Übereinkünften…: „Regeln? Wir brauchen keine Regeln!“ Die Gleichstellung von Erwachsenen und Kindern nimmt in den 68ern ihren Anfang. In der Folge haben „Erwachsene Kindern nichts zu sagen.“ Sie entwickeln sich quasi spontan von selbst. Man muss sie nur in Ruhe lassen. Dem gleichen Irrtum unterliegt ferner auch die Mehrsprachigkeitsdidaktik3. „Als die 68-Generation bei ihrem Marsch durch die Institutionen an die entsprechenden Positionen aufrückte, war der Weg frei, diese Weltanschauung in der Bildungspolitik fest zu verankern und die bewährte Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden […] zu ersetzen.“

Ein einstiges Vorzeige-Bundesland wird in den Abgrund reformiert

Der heutigen Bildungspolitik macht Winterhoff den Vorwurf, dass sie zwar begeisterungsfähig, aber völlig unkritisch den Fantasien von Ideologen aufsitzt und diese mit desaströsen Folgen umsetzt, anstatt sich auf die reichlich vorhandene Empirie aus Praxis und Wissenschaft zu verlassen. So machte Gabriele Warminski-Leitheusser, 2011 – 2013 sozialdemokratische Kultusministerin von Baden-Württemberg, den umstrittenen Schweizer Schulgründer Peter Fratton zu ihrem offiziellen Berater. „Das vormalige Vorzeige-Bundesland verschlechterte sich in der darauffolgenden Zeit dramatisch im Ländervergleich.“ In einer Landtagsanhörung auf seine Experimente angesprochen, meinte Fratton: „Ich habe keine Ahnung, was dabei herauskommt. Aber schön falsch ist auch schön.“ Abgesehen von dieser offensichtlichen Leichtsinnigkeit, tun sich Ideologen schwer damit, Unrecht zuzugeben. Sie und ihre Anhänger in der Bildungspolitik biegen sich die Realitäten zurecht, „bis sie den eigenen Wünschen und Vorstellungen entsprechen.“ Darin erkennt Winterhoff „die Basis der Bildungspolitik seit mindestens zwei Jahrzehnten.“

Gabriele Warminski-Leitheusser, 2011 – 2013 sozialdemokratische Kultusministerin von Baden-Württemberg, die den umstrittenen Schweizer Schulgründer Peter Fratton zu ihrem offiziellen Berater ernannt hat – mit fatalen Folgen für das Bundesland Baden-Württemberg

Grundlegende Störung in der Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern

Die Grundlage der bildungspolitischen Realitätsverweigerung macht Winterhoff in einer grundlegenden Störung in der Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern aus. In der Psychoanalyse nennt sich diese Beziehungsstörung Projektion. Die Anhänger des offenen, selbstorganisierten Unterrichts glauben aufrichtig daran, Kinder zu befreien. Tatsächlich jedoch übertragen hier Erwachsene eigene Wünsche und Gefühle auf das Kind. Sie wollen den Minderjährigen das geben, was sie sich als Kind selber wünschten. Sie wollten keine Hausaufgaben. „Also weg damit!“ „Sie wären gerne während des Unterrichts ein wenig herumspaziert? Also werden Wände eingerissen“, Verweilecken, Lerntheken, Spiel- und Bewegungsräume eingerichtet.

Konsequent in den Lernstillstand

Damit übersehen die Anhänger des offenen, selbstorganisierten Unterrichts die Bedürfnisse der Kinder nach Betreuung und Orientierung. Nur in der Projektion kommt der Erwachsene auf die Idee, „dass seine Rolle darin besteht, alle Wünsche, die er dem Kind zuordnet, umgehend zu erfüllen.“

Bild: AdobeStock

Damit ordnet er sich dem Kind unter, wodurch dieses die Führung übernimmt. „Die eigentliche ‘Bildungsrevolution’ besteht somit im „unnatürlichen Beziehungsverhältnis, in das Kinder und Erwachsene […] gezwungen werden.“ „Denn wenn sich das Kind nicht an Erwachsenen orientieren darf, findet bei ihm definitiv keine Entwicklung seiner Psyche statt. Das […] ist seit vielen Jahrzehnten gesichertes Wissen.“ Was das autonome Lernen betrifft unterscheiden sich Kinder überdies nicht von Erwachsenen: Sie wählen sich zumeist, was sie bereits können, wodurch es auch zu einem Lernstillstand kommt.

„Offener Unterricht lässt Schüler und Lehrer allein. ‘Autonomes Lernen’ bei Kindern gibt es nicht.“ Ohne die Anleitung und Orientierung durch Erwachsene bleiben Kinder lustorientiert. Sie erreichen dadurch weder Beziehungs- noch Arbeitsfähigkeit – mit katastrophalen Folgen für Gesellschaft und Wirtschaft.

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Foirwer retete eine oile aus dem Stal https://condorcet.ch/2019/07/foirwer-retete-eine-oile-aus-dem-stal/ https://condorcet.ch/2019/07/foirwer-retete-eine-oile-aus-dem-stal/#comments Wed, 24 Jul 2019 14:18:03 +0000 https://lvb.kdt-hosting.ch/?p=1707

Condorcet-Autor Roland Stark veröffentlichte den nachfolgenden Artikel bereits vor einem Jahr in der BAZ. Er hatte die Bonner Studie von Frau Prof. Una Röhr-Sendlmeier bereits vor einem Jahr studiert (der Condorcet-Blog veröffentlichte dazu einen Bericht: https://condorcet.ch/2019/07/schreiben-nach-gehoea-kinder-werden-systematisch-in-die-irre-gefuehrt/). Angeregt durch den Beitrag des Kölner Stadtanzeigers schickte er uns seine damalige Kolumne. Bissig und amüsant wie immer....

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Der Zwischenfall ist noch in bester Erinnerung: Ich war schon nicht mehr als Heilpädagoge in einer eigenen Klasse beschäftigt, sondern als mobiles Einsatzkommando. Ein Saisonarbeiter auf Abruf. Vor mir ein Stapel Aufsatzhefte zum Korrigieren. Zeitformen, logischer Aufbau, Gliederung mit Einleitung, Hauptteil, Schluss. Spannungsbogen, Fantasie etc. Das Übliche. Als ich dann aber auch noch die Rechtschreibfehler anstrich, kassierte ich einen Zusammenschiss der Deutschlehrerin, die mich unverblümt als pädagogischen Hinterwäldler beschimpfte. Tatort: eine 6. Klasse der Primarschule, damals noch Orientierungsschule genannt.

Bild: api

Offenbar liess sich die Kollegin von der an sich löblichen Grundhaltung leiten, die Lust am kreativen Text, Spass und Freude seien für die Schülerinnen und Schüler wichtiger als Orthografie und Grammatik. Die Methode «Lesen durch Schreiben» stammt ursprünglich vom Schweizer Reformpädagogen Jürgen Reichen. Gearbeitet wird mit einer Anlauttabelle. Dabei ist der Anlaut mit einem Bild verbunden: mit B eine Banane, S mit Suppe oder A mit Affe. Die Kinder schreiben nach Gehör, ohne Rücksicht auf die lästige Rechtschreibung.

In einem Aufsatz über seinen Berufswunsch darf das Kind also unbeschwert von Regeln und ohne störendes Meckern von Eltern oder Lehrern schreiben: «Schpäta möchte ich ainmal ain übasätuza für die fereinten nazionen werdn.»

Orthografie ist wie Lesen eine Kernkompetenz und sollte in den ersten Schuljahren geübt werden.

Zwar wird «Schreiben nach Gehör» in den Schweizer Schulen kaum noch in lupenreiner Form angewendet. Die Vernachlässigung eines regelmässigen und systematischen Rechtschreibeunterrichts zieht sich wie ein roter Faden durch den Sprachunterricht. Die Weisheit «Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr» ist in Vergessenheit geraten oder im «Sprachbad» abgesoffen. Orthografie ist wie Lesen eine Kernkompetenz und sollte in den ersten Schuljahren geübt werden. «Ohne Fleiss kein Preis» heisst denn auch eine andere missachtete Weisheit.

Entsprechend häufen sich die Klagen der Anschlussschulen, dass sie die Defizite aus der Grundschule ausbügeln müssten und auch die Universitäten bemerken eine wachsende Rechtschreibeschwäche ihrer Studienanfänger.

Prof. Una Röhr-Sendlemeier, Autorin der Bonner Studie

Munition für die Gegner der «Reichen-Methode» liefert nun eine Studie von Bonner Bildungsforschern. Die Wissenschaftler untersuchten die Rechtschreibeleistungen von mehr als 3000 Grundschülern in Nordrhein-Westfalen. Danach machten jene Schüler, die mit «Lesen durch Schreiben» gelernt hatten, am Ende der vierten Klasse 55 Prozent mehr Fehler als Kinder, denen das Schreiben mit der klassischen Fibel beigebracht wurde. Die Studie ergab auch keine Anhaltspunkte für die gängige Behauptung, der «Laisser-faire-Unterricht» würde die Kinder stärker motivieren. Im Gegenteil: Haben sich die Kinder die falsch geschriebenen Wörter einmal eingeprägt, ist es für viele eine Qual, sich an die korrekte Schreibweise zu gewöhnen.

Die Wissenschaft spielt in der Bildungspolitik kaum eine Rolle.

Unter der Überschrift «Das grosse Desinteresse» schreibt Die Zeit, leicht resigniert, dass der Fall exemplarisch ein Problem verdeutliche, «das viele Forscher beklagen: Die Wissenschaft spielt in der Bildungspolitik kaum eine Rolle. Ihre Erkenntnisse werden selten umgesetzt oder gleich ganz ignoriert.» (27.09.2018). Noch wichtiger als Frühenglisch oder Frühfranzösisch wäre danach wohl Frühdeutsch.

Di hofnung schtirbt zulezt. Auch bei Schuhlrevormen.

 

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