London - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Thu, 21 Mar 2024 19:56:00 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png London - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Erfolgreich und kontrovers: Die Michaela Community School in London setzt auf Disziplin und traditionelle Lehrmethoden https://condorcet.ch/2024/03/erfolgreich-und-kontrovers-die-michaela-community-school-in-london-setzt-auf-disziplin-und-traditionelle-lehrmethoden/ https://condorcet.ch/2024/03/erfolgreich-und-kontrovers-die-michaela-community-school-in-london-setzt-auf-disziplin-und-traditionelle-lehrmethoden/#respond Thu, 21 Mar 2024 19:56:00 +0000 https://condorcet.ch/?p=16222

Der Condorcet-Blog hat schon mehrmals über die Michaela Community School berichtet (https://condorcet.ch/2020/02/brennpunktschule-uebertrifft-alle/) Nun hat Condorcet-Autor Urs Kalberer diese Schule in London besucht und ging der Frage nach: Was macht diese Schule so erfolgreich?

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In einer Zeit, in der Bildungseinrichtungen vermehrt auf kooperative Schulformen setzen, bricht die Michaela Community School in London mit dem Trend und feiert beeindruckende Erfolge. Die Schule, eine sogenannte Free School, geniesst staatliche Finanzierung, aber erfreut sich weitgehender Freiheiten in Bezug auf die Anstellungsbedingungen der Lehrkräfte und der Schulorganisation. Ihr Erfolgsrezept: Disziplin, traditionelle Lehrmethoden und ein klares Bekenntnis zu grundlegendem Wissen. Inhaltlich hält sich die Schule an den nationalen Lehrplan.

Urs Kalberer, Sekundarlehrer: Beeindruckende Erfolge lassen Raum für Überlegungen, ob auch andere Schulen von diesem Modell lernen können.

Bereits vor dem Besuch erhalten Gäste eine detaillierte Liste mit erwünschtem und nicht erwünschtem Verhalten, was von angemessener Kleidung (keine zerrissenen Jeans, keine Turnschuhe) bis zum Flüsterton in den Gängen reicht. Bei unserem Besuch führten uns zwei engagierte Teenager durch das Schulhaus, sichtlich stolz auf ihre Schule. Free Schools kennen keine selektiven Aufnahmekriterien wie Prüfungen. Ihre Schüler, die per Los zugeteilt werden, stammen alle aus demselben unterprivilegierten Stadtbezirk im Nordwesten Londons.

Viermal besser als der Durchschnitt

Die britische Schulinspektionsbehörde Ofsted beurteilt die Qualität der erbrachten Bildungsleistungen in allen Bereichen als hervorragend («outstanding»). Besonders beeindruckend ist auch die Feststellung, dass Kinder mit besonderen Bedürfnissen im Lesen, Schreiben und in Mathematik dank bedürfnisgerechter Unterstützung schnell den Anschluss schaffen. In der Leistungsskala des für die Berufswelt entscheidenden Schlussexamens GCSE (General Certificate of Secondary Education) erreichten 18 Prozent der Michaela-Schüler die Höchstnote 9 (in Mathematik sind es sogar 25 Prozent). Das stellt im Vergleich zum nationalen Durchschnitt von 4,5 Prozent ein glänzendes Erfolgsresultat dar.

Im Fokus der Schule steht eine konsequente Neuausrichtung der Pädagogik, bei der traditionelle Lehrerführung im Mittelpunkt steht. Die Schüler sitzen in Reihen, schauen nach vorne und folgen mit aussergewöhnlicher Disziplin und Konzentration den Ausführungen der Lehrkräfte. Immer wieder stellen diese Fragen, welche die Klasse auf

Kommando beantwortet. So werden die Schüler in hohem Tempo durch die Lektionen geleitet. Moderne Formen des selbstorganisierten Lernens wie auch Gruppenarbeiten oder Projekte werden bewusst ignoriert.

Trotz dieser scheinbar harten Regeln betont die Schulleiterin Katharine Birbalsingh, dass eine tiefe Erwartungshaltung besonders die Schwächsten benachteiligen würde.

Still in Einerkolonne

In der Michaela-Schule zählt jede Minute Unterricht, entsprechend gross sind die Fortschritte der Kinder. Trotz des mehrstöckigen Gebäudes verlieren die Schüler beim Zimmerwechsel sehr wenig Zeit. In Einerkolonne begeben sie sich ohne zu sprechen zügig durch die Gänge. Die üblichen Pausen zwischen Lektionen fallen weg. Die Schule verzichtet bewusst auf den Einsatz von Computern im Unterricht, ermutigt die freiwillige Abgabe von Handys und verkauft günstige Handys ohne Internet an Eltern.

Katharine Birbalsingh, Schulleiterin: Wir müssen fordern, allesandre schadet den Kindern der Unterschicht.

Die Autorität der Lehrpersonen wird hochgehalten, Disziplin und Leistung prägen den Schulalltag. Während des Unterrichts werden die Schüler konstant mit Plus- und Minuspunkten bewertet. Gute Leistungen im schulischen oder sozialen Bereich werden mit verschiedenen Pins belohnt, die sich die Schüler ans Revers ihrer Uniformjacken stecken. Für Empörung bei den Kritikern sorgt die konsequente Haltung gegenüber Nachlässigkeiten wie Unpünktlichkeit oder fehlende Hausaufgaben: Wer nicht erfüllt, kriegt Nachsitzen. Trotz dieser scheinbar harten Regeln betont die Schulleiterin Katharine Birbalsingh, dass eine tiefe Erwartungshaltung besonders die Schwächsten benachteiligen würde. Auch Patriotismus ist hoch im Kurs, denn eine Schule mit einer solch gemischten Schülerschaft könne nur funktionieren, wenn alle England als ihr Land akzeptierten und lernten, stolz darauf zu sein, so Birbalsingh.

Auch die Mittagspause ist klar strukturiert und beginnt mit der gemeinsamen Rezitation eines Gedichts. Die Schüler übernehmen Aufgaben wie das Tischdecken und das Abräumen der Teller. Während des Essens diskutieren die Schüler zusammen mit ihren Lehrern am Tisch über ein festgelegtes Thema. Anschliessend würdigen einzelne Schüler gute Leistungen ihrer Kollegen oder der Lehrerschaft. Die traditionellen Methoden der Michaela-Schule mögen zwar kontrovers sein, aber ihre beeindruckenden Erfolge lassen Raum für Überlegungen, ob auch andere Schulen von diesem Modell lernen können.

 

Urs Kalberer ist Sekundarlehrer und Sprachdidaktiker an der Sekundarschule Landquart GR.

 

Kasten/Box

Alter der Kinder: 11-18

Klassengrösse: 25-30

Schülerzahl: ca. 700

Schulzeit: 8 – 16 Uhr

Hausaufgaben pro Tag: 60-90 Minuten

Pausenplatz, Bild: Urs Kalberer

 

Michaela Community School, Bild: Wikipedia

 

Katharine Birbalsingh, Bild: Wikipedia

 

 

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Brennpunktschule übertrifft alle https://condorcet.ch/2020/02/brennpunktschule-uebertrifft-alle/ https://condorcet.ch/2020/02/brennpunktschule-uebertrifft-alle/#comments Mon, 10 Feb 2020 21:28:33 +0000 https://condorcet.ch/?p=3905

Bei den letztjährigen landesweiten GCSE-Prüfungen in Grossbritannien, einer nationalen Prüfung für 15- und 16-Jährige, die deren zukünftige akademische Laufbahn bestimmt, gab es eine sensationelle Überraschung: Die Brennpunktschule Michaela Community School aus dem unterprivilegierten, mehrheitlich von ethnischen Minderheiten bewohnten Londoner Stadtbezirk Brent überflügelte die meisten britischen Schulen. Peter Aebersold stellt sie für unsere Condorcet-Community vor.

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Die Gründerin der Michaela Schule, Katharine Birbalsingh: Das heutige Schulsystem hält arme Kinder arm.

Die 2014 gegründete Michaela Community School, die das erste Mal an den nationalen Prüfungen teilnahm, hat Schülern, von denen viele aus benachteiligten Verhältnissen kommen, zu einigen der besten Ergebnisse aller nicht selektiven staatlichen Sekundarschulen des Landes verholfen.

Noch bemerkenswerter: Indem die Michaela Schule auf den bewährten Klassenunterricht, auf geordnete Strukturen und traditionelle Werte wie Autorität, Anstand und Disziplin setzte, schaffte sie den „Brexit“ aus der 50jährigen Geschichte erfolgloser progressiver Schulreformen in Grossbritannien. Dabei setzte sie nicht nur das nie erreichte Ziel dieser Reformen, die Chancengleichheit, in die Tat um, sondern erzielte vier Mal bessere Ergebnisse als der nationale Durchschnitt.

Mehr als die Hälfte (54%) aller Klassenstufen der Michaela Schule erreichte die Note 7 oder höher (entspricht dem alten A und A*), was mehr als doppelt so hoch war wie der nationale Durchschnitt von 22%. Fast jeder Fünfte (18%) glänzte mit der Höchstnote 9, verglichen mit 4,5% im Inland, und in der Mathematik war jedes vierte Ergebnis die Höchstnote 9.

Erfahrungen mit dem staatlichen Schulsystem

Die Gründerin der Michaela Schule, Katharine Birbalsingh, hatte als erfolgreiche Absolventin der Universität von Oxford auf eine glänzende Lehrerkarriere verzichtet und begann in einer unterprivilegierten Londoner Schule zu unterrichten. Sie stellte jedoch bald fest, dass an den staatlichen Schulen vieles falsch lief: “Meine Erfahrung, die ich über ein Jahrzehnt lang in fünf verschiedenen Schulen gemacht habe, hat mich zweifelsfrei davon überzeugt, dass das System gescheitert ist, weil es arme Kinder arm hält.”

Sagen, was alle denken, aber niemand sagt.

Durch ihren Blog To Miss With Love, wo sie seit 2007 anonym über ihre Erfahrungen als Lehrerin an einer Inner City Sekundarschule in London schrieb, wurde sie bald bekannt.

“Bildung heisst, den Kindern Wissen beizubringen und nicht Kompetenzen.” – Katharine Birbalsingh

Der größte Verrat an unseren Kindern ist unser Schweigen

Als sie das Buch The Schools We Need and Why We Don’t Have Them (Die Schulen, die wir benötigen und warum wir sie nicht haben) des renommierten amerikanischen Schulkritikers und Vertreters der traditionellen Unterrichtsmethoden E.D. Hirsch las, wurde ihr bewusst, woran die Schule krankte: „Bildung sei, den Kindern Wissen zu lehren und nicht Kompetenzen (skills) beizubringen“. Für Hirsch ist der Grund, warum die meisten Studenten am Community College und nicht an der Universität landen, nicht die angeborenen Fähigkeiten oder der familiäre Hintergrund, sondern das für den akademischen Aufstieg fehlende Grundwissen über kulturelle Begriffe und Konzepte.

Von der Bildungspolitik der Labour Party enttäuscht, hielt sie eine Rede an der Conservative Party-Konferenz 2010, wo sie das staatliche britische Bildungssystem kritisierte und die Bildungspolitik der Partei unterstützte. Mit dieser Rede erlangte sie nationale Berühmtheit, verlor aber ihren Job als stellvertretende Leiterin einer von der Regierung geführten Schule im Süden Londons.

Londons damaliger Bürgermeister Boris Johnson besuchte 2015 die Michela School: “What an incredible experience. This is one of the most extraordinary schools I have seen.”

In ihrem 2011 erschienenen Buch To Miss with Love schreibt Birbalsingh: „Ich mache mir Sorgen, dass ich meinen Job verliere, weil ich dieses Buch geschrieben habe. Als Berufsstand werden wir stark davon abgehalten, uns gegen das System auszusprechen. Aber ich glaube, der größte Verrat an unseren Kindern ist unser Schweigen. Wie eine Freundin von mir bei der Lektüre sagte: To Miss with Love wagt es, das zu sagen, was wir Lehrer immer denken, aber niemand sagt.“

Chancengleichheit für die Unterprivilegierten

Birbalsingh gründete ihre eigene Schule, eine gebührenfreie Gemeindeschule (kostenlose, staatlich finanzierte, von örtlichen Behörden unabhängige „Freie Schule“)  für Unterprivilegierte und wirtschaftlich Benachteiligte im Londoner Bezirk Brent. Im September 2014 startete die Michaela Community School mit 120 Schülern (für 2020 sind 840 Schüler geplant). Die Schüler, die zur Michaela Schule kamen, konnten sich keine Privatschule leisten. Aber sie brauchten Ordnung und Disziplin im Leben, die ihnen in ihren Familien und Gemeinschaften verzweifelt fehlten. Die Schule wird von vielen Medien als „strikteste Schule Grossbritanniens“ verunglimpft. Von den Laisser-faire-Standards, die man an britischen Schulen beobachten kann, grenzt sie sich wohltuend ab.

Ich ließ Hunderte von Kindern in meinem Leben scheitern, weil ich Teil eines Systems war, das Kinder scheitern ließ.” – Katharine Birbalsingh

Mit der neuen Michaela Sixth Form ( die letzten drei Jahre der Sekundarschule) wird die Tradition der Schule in Bezug auf akademische Exzellenz, hohe Standards und außergewöhnliche Ergebnisse für die Schüler fortgesetzt. Für September 2020 werden Bewerber gesucht, die einen Studienplatz in Oxford, Cambridge und anderen Spitzenuniversitäten in Großbritannien und der ganzen Welt anstreben.

Ich ließ Hunderte von Kindern in meinem Leben scheitern, weil ich Teil eines Systems war, das Kinder scheitern ließ. Ich habe mir vorgenommen, nie mehr ein weiteres Kind scheitern zu lassen, und wenn mir das gelingt, dann hat die Michaela Schule nicht nur sie gerettet, sondern auch mich. Es ist möglich. Wir müssen nur anders denken.“  – Katharine Birbalsingh, The Spectator 19. März 2016

Verantwortung, Rücksichtnahme und Handlungsfähigkeit lehren

In der Schulordnung wurde festgehalten, welches Benehmen und Verhalten von den Schülern erwartet wurde. Birbalsingh hatte die Erfahrung gemacht, dass eine Schule Gefahr läuft, bei ihren Schülern eher Hilflosigkeit, Egoismus oder Abhängigkeit zu schaffen als Verantwortung, Rücksichtnahme und Handlungsfähigkeit, wenn sie zu freizügig ist und zu viele Ausnahmen zulässt. Sie meint, wenn eine Schule ihre Standards für ärmere Schüler aufgrund ihrer Armut oder ihres schwierigen Heimlebens herabsetze, erweise sie ihnen einen schlechten Dienst und erwecke den Eindruck, dass sie nicht genug an sie glaube.

OECD-Bildungsexperte Andreas Schleicher war beeindruckt.
By Andreas Schleicher
Director, Directorate of Education and Skills

OECD-Direktor Andreas Schleicher, beeindruckt von dem Besuch der erfolgreichen Michaela Schule im November 2019, meinte: „Vielleicht ist es an der Zeit, den lehrergeleiteten Unterricht und das schülerorientierte Lernen nicht mehr gegeneinander auszuspielen und zu behaupten, das eine sei altmodisch und erdrückend, das andere zukunftsorientiert und befähigend. Beide Ansätze haben eindeutig ihren Platz.”

Zu Katharine Birbalsingh

Birbalsingh wurde in Neuseeland als ältere von zwei Töchtern des Lehrers Frank Birbalsingh aus Guyana und seiner Frau Norma, einer Krankenschwester aus Jamaika, geboren und ist in Kanada aufgewachsen. Ihr Großvater Ezrom S. Birbalsingh war Leiter der kanadischen Missionsschule in Better Hope, Demerara, Guyana. Mit fünfzehn Jahren übersiedelte sie ins Vereinigte Königreich, wo ihr Vater an der University of Warwick als Gaststipendiat weilte.

Sie studierte Französisch und Philosophie an der University of Oxford. Nach ihrem Abschluss ließ sie sich im Vereinigten Königreich nieder. Sie schreibt regelmäßig für den Daily Telegraph. Ihr im März 2011 veröffentlichtes Buch To Miss with Love, das ihre Erlebnisse während eines Schuljahres beschreibt, wurde sofort zu einem Bestseller: Es wurde zum Buch der Woche gewählt und von Radio BBC 4 als Serie ausgestrahlt. 2017 wurde sie auf Anthony Seldons Liste der 20 einflussreichsten Personen im britischen Bildungswesen aufgeführt. 2019 erhielt sie den Contrarian Prize als Schulleiterin, die es wagte, das Bildungssystem herauszufordern..

Peter Aebersold, Zürich

 

 

Quellen:

https://oecdedutoday.com/working-hard-and-being-kind/  Bericht von Andreas Schleicher OECD

https://de.wikipedia.org/wiki/Katharine_Birbalsingh

Katherine Birbalsingh: To Miss with Love, Penguin Books 2011, ISBN 978-0-670-91899-7

Katherine Birbalsingh et al.: Battle Hymn of the Tiger Teachers: The Michaela Way. John Catt Educational Ltd, Woodbridge (Suffolk) 2016, ISBN 978-1909717961

Katharine Birbalsingh et al.: Michaela: The Battle For Western Education. Tiger Teachers Take Two: The Michaela Way. John Catt Educational Ltd, Woodbridge (Suffolk) 2020, ISBN 978-1-912906-21-5

 

 

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