Hausaufgaben - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Fri, 19 Jan 2024 15:58:00 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Hausaufgaben - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Nour und die Frage des Lernwillens https://condorcet.ch/2024/01/nour-und-die-frage-des-lernwillens/ https://condorcet.ch/2024/01/nour-und-die-frage-des-lernwillens/#respond Mon, 15 Jan 2024 22:28:13 +0000 https://condorcet.ch/?p=15706

Condorcet-Autor Alain Pichard erinnert sich an einen besonderen Abend, ein besonderes Schulprojekt und an eine besondere Schülerin.

The post Nour und die Frage des Lernwillens first appeared on Condorcet.

]]>

Eine der Sternstunden meiner Lehrerlaufbahn waren die von der Bielerin Tina Messer initiierten schulischen Workshops in der Poery-Slam-Kunst. Während zweier Halbtage wurden meine Schülerinnen und Schüler in die Kunst des Poetry-Slams eingeführt, konnten erste zaghafte Versuche in eigener Dichtkunst wagen, tolle Texte kreieren und anschliessend vor Publikum präsentieren. Die gegenseitigen Auftritte steigerten das Selbstbewusstsein und die Freude am Formulieren. Die Texte wuchsen in Länge und Gehalt. An einem schulinternen Abend für Lehrkräfte, Eltern, Behördenmitgliedern und natürlich den Schülerinnen und Schülern selbst, konnten die jungen Poeten ihre selbst formulierten Texte vortragen. Sie wurden in bewährter Poetry-Slam-Tradition mit Punkten bewertet (1 – 10). Die bestbewerteten Darbietungen konnten dann im Rahmen eines grossen Poetry-Wettbewerbs im altehrwürdigen «Chessu» (das autonome Jugendzentrum) sich mit den Cracks einer anderen Schule messen. Der Anlass erfreut sich jeweils grosser Beliebtheit und wird von meinen Schülern als «megacool» empfunden. Spannend ist es dabei, auch die Reaktion der Eltern zu beobachten, viele von ihnen mit Migrationshintergrund. Auch wenn diese nicht alle Texte vollständig verstanden, waren sie dennoch stolz, ihre Kinder auf der Bühne zu sehen. Kulturarbeit im besten Sinn.

Alain Pichard, Lehrer Sekundarstufe 1, GLP-Grossrat im Kt. Bern und Mitglied der kantonalen Bildungskommission: Sie liess sich weder von Mitschülern, noch von Experten in den Bildungsbüros bremsen.

Besonders in Erinnerung blieb mir eine junge libanesische Schülerin meiner Klasse. Nour, so ihr Name, beeindruckte uns Lehrkräfte und viele Eltern mit einem glühenden Votum für einen besseren Umgang unter den Schülerinnen und Schülern der Oberstufenklassen. Nicht nur das: Sie wollte lernen und baute dies in ihren Text ein:

Nour R., redete Klartext

Eine Passage blieb mir in Erinnerung: „So frage ich, ob es noch Zusatzaufgaben gebe und erhalte als Antwort, ’halt doch die Fresse du Streberin!’ So ist es also hier, wer sich anstrengt und weiterkommen will, ist eine Streberin!”

Natürlich waren nicht alle Mitschülerinnen von so einem Bekenntnis begeistert. Darunter übrigens durchaus nicht nur lustlose Migrantenkinder, sondern auch solide Schweizer Burschen.

Schon damals musste sich meine Nour nicht nur gegen minimalistische Mitschüler behaupten, sondern gegen ein Bündnis von Erziehungswissenschaftlern, PH-Dozentinnen  und Bildungsfunktionären, welche ihre holistischen Vorstellungen auch auf die Studierenden übertragen wollen. So wird zum Beispiel die Forderung immer lauter, die Hausaufgaben abzuschaffen. Sie seien der Grund für Streitereien in der Familie, verursachten Stress und würden die Ungleichheit zwischen privilegierten und unterprivilegierten Schichten fördern. Streng nach dem Motto: Wo was gross ist, bleibt es rundherum klein. Und so etwas gelte es unter allen Umständen zu verhindern.

Die von der Bielerin Tina Messer organisierten Poetry-Slam-Anlässe für die Schule sind erfreuen sich grosser Beliebtheit.

Keine Frage: Es gibt dumme Hausaufgaben, genauso wie es bequeme Lehrkräfte und einfältigen Unterricht gibt. Ich lege selbst auch nicht die Hand ins Feuer, dass ich immer die klügsten Arbeitsaufträge erteile. Hausaufträge können hingegen auch inspirierend und interessant sein, vor allem aber sind sie unvermeidlich, wenn es ums Lernen geht. Die SOL-Lektionen, in denen Schülerinnen und Schüler ihre Aufträge auch in der Schule unter Aufsicht und Betreuung der Lehrkräfte erledigen können, gehören längst zur Stundentafel der meisten Schulen.

Nour gehörte zu den Schülerinnen und Schülern, die gerne lernten, liebend gerne noch etwas mehr, auch zu Hause. Intuitiv misstraute sie den Leuten, welche ihr eine Umdeutung aller Werte predigen wollen: Keine Leistung, dafür viele aufpäppelnde Sonderbetreuungen. An so etwas wollte sich die Torhüterin ihres Fussballclubs gar nicht erst gewöhnen.

Sie liess sich weder von Mitschülern, noch von Experten in den Bildungsbüros bremsen. Vermutlich ahnte die intelligente Libanesin, dass die Verachtung der Leistung vor allem den Kindern der unteren Schichten schadet, denn gerade sie müssen Leistung zeigen, um hochzukommen. Nour absolvierte eine KV-Lehre, machte anschliessend die Berufsmatur und ist heute in einer internationalen Firma in den Finanzen tätig.

An der schulinternen Ausscheidung schaffte sie es nicht unter die besten Drei, trotz ihres vorzüglichen Textes – und damit meine ich nicht den mutigen Inhalt, sondern auch die sprachliche Brillanz. Durch den Verzicht von zwei vor ihr liegenden Kameraden rutschte sie aber dennoch in das Finale im Chessu. Dort war das Publikum etwas «wohlgesonnener» und erkannte den Wert des Textes. Nour belegte den 2. Platz.

The post Nour und die Frage des Lernwillens first appeared on Condorcet.

]]>
https://condorcet.ch/2024/01/nour-und-die-frage-des-lernwillens/feed/ 0
Hausaufgaben – Selbständig oder gar nicht https://condorcet.ch/2023/05/hausaufgaben-selbstaendig-oder-gar-nicht/ https://condorcet.ch/2023/05/hausaufgaben-selbstaendig-oder-gar-nicht/#comments Tue, 02 May 2023 15:10:57 +0000 https://condorcet.ch/?p=13801

Die Hausaufgabenforschung stellt Erkenntnisse zur Verfügung, welche Lehrerinnen und Lehrer praktisch anwenden können. Eine solche Handhabung der Hausaufgaben ist für alle Beteiligten ein Gewinn und eine Entlastung. Ein Beitrag von Gastautor Lukas Fürrer.

The post Hausaufgaben – Selbständig oder gar nicht first appeared on Condorcet.

]]>

Mit Blick auf einige Ergebnisse der Hausaufgabenforschung lassen sich vorab drei Aussagen machen. Erstens ist der Gegenstand in seiner Untersuchung nicht einfach, gerade wenn beispielsweise die Auswirkungen von Hausaufgaben auf die Schulleistung nachgewiesen werden sollen. Die Hausaufgabenforschung kommt aber durchaus zu konsistenten Befunden. Zweitens lassen sich einige Erkenntnisse aus der Forschung ziehen, welche jede Lehrperson praktisch in ihren Unterricht integrieren kann. Drittens sind Hausaufgaben ein emotionales Thema. Der Gegenstand eignet sich deshalb nicht für Revolutionen (Abschaffung), sondern für Evolutionen — ganz im Sinne der hier diskutierten Ergebnisse.

Lukas Fürrer, Generalsekretär Direktion für Bildung und Kultur Kanton Zug
Lukas Fürrer, Generalsekretär der Direktion Bildung und Kultur des Kantons Zug

Oberstufe: Positive Wirkung

In einer Studie von Ulrich Trautwein et al. von 2001 zum Thema «Hausaufgaben und die Entwicklung von Leistung und Interesse im Mathematik-​Unterricht der 7. Jahrgangsstufe» kommen die Autoren zum Schluss, dass regelmässige Hausaufgaben einen förderlichen Einfluss, lange Hausaufgaben allerdings einen gegenteiligen Effekt hätten. Dass lange Hausaufgaben zu einer beobachtbaren Reduktion der Leistungsunterschiede innerhalb einer Klasse führen würden, sei zwar ersichtlich, doch sei dies dem Umstand geschuldet, dass eine Leistungshomogenisierung mehrheitlich zu Lasten der starken Schüler ginge, die von langen Hausaufgaben nicht profitierten. Sprich: Lange Hausaufgaben führten zu einer Nivellierung nach unten. Und eine weitere Erkenntnis: Würden die Eltern oder andere Familienangehörige die Hausaufgaben beaufsichtigen, hätte dies ebenfalls einen nachteiligen Effekt auf den Lernfortschritt.

Lange Hausaufgaben führten zu einer Nivellierung nach unten.

Insgesamt belegt die Studie die positiven Wirkungen von häufigen Hausaufgaben und die negativen Wirkungen von umfangreichen Hausaufgaben. Das Ergebnis, so die Autoren, dass umfangreichere Hausaufgaben in den untersuchten Klassen mit weniger Lernfortschritt einhergingen, sei als Aufruf zu verstehen, die Art und Qualität von Hausaufgaben sowie die verfolgten Ziele genauer zu untersuchen. Und weiter: Wiederholt sei in diesem Kontext auch darauf hingewiesen worden, dass die beobachtbare Planung und Gestaltung der Hausaufgaben durch die Lehrpersonen wiederum eine Folge von Defiziten bei der Lehrerausbildung sein könnte.

Aufgrund dieser Studie – im Bericht dazu werden zahlreiche weitere Studienergebnisse zum Thema diskutiert – lassen sich vier praktische Schlüsse ziehen:

  • Regelmässige Hausaufgaben sind richtig.
  • Umfangreiche Hausaufgaben sind falsch.
  • Hausaufgaben, welche nicht selbständig gelöst werden können, sind falsch.
  • Die korrekte Handhabung der Hausaufgaben muss Gegenstand der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern sein.

Primarschule: Wirkung beinahe null

In einem Interview mit BBC Radio 4 äusserte sich John Hattie zum Thema Hausaufgaben. Die Wirkung von Hausaufgaben in der Primarschule sei, so Hattie, beinahe null, auf der Sekundarstufe grösser. Es könne aufgrund dieser Erkenntnis aber nicht darum gehen, die Hausaufgaben in der Primarschule abzuschaffen. Viele Eltern würden die Qualität einer Schule nach wie vor mit dem Vorhandensein von Hausaufgaben verbinden. Aber es lohne sich, gerade im Bereich der Primarschule, die Frage nach der Wirkung von Hausaufgaben zu stellen. Hattie empfiehlt, die Null-​Wirkung als Anlass für eine Verbesserung der Situation und nicht für die Abschaffung zu nehmen. Er sei aber klar der Ansicht, dass wir es mit den Hausaufgaben übertreiben würden. Fünf bis zehn Minuten hätten die gleiche Wirkung wie eine oder zwei Stunden. Die schlechteste Lösung aus Sicht Hatties: den Kindern Projekte als Hausaufgaben geben. Die beste Lösung: Die Hausaufgaben sollen bei der Vertiefung von etwas bereits Gelerntem helfen.

Lieber oft als viel

Die Erkenntnisse von Trautwein et al. widersprechen den Erkenntnissen der Metastudie (Untersuchung zahlreicher Studien) von Hattie nicht. Richtig umgesetzt, beeinflussen Hausaufgaben die Schulleistungen auf der Oberstufe positiv. Beim Umfang ist allerdings auch auf der Oberstufe Zurückhaltung angezeigt. Trautwein et al. liefern dazu eine einprägsame Hausaufgabenformel: Lieber oft als viel. Müssen Eltern bei den Hausaufgaben helfen, verpufft der positive Effekt.

Das Einüben der selbständigen Tätigkeit muss das Ziel sein, nicht eine grosse Verarbeitungsmenge.

In der Primarschule ist Zurückhaltung bei der Hausaufgabenmenge Pflicht. Eine Abschaffung der Hausaufgaben auf dieser Stufe würde sich nicht negativ auf die Schulleistungen auswirken. Allerdings: Wenn Hausaufgaben auf der Oberstufe einen positiven Effekt haben, dann macht es durchaus Sinn, das selbständige Vertiefen zu Hause schon in der Primarschule einzuüben. Bei der Hausaufgabenmenge dürfen und sollen sich Primarlehrpersonen allerdings getrost zurückhalten. Das Einüben der selbständigen Tätigkeit muss das Ziel sein, nicht eine grosse Verarbeitungsmenge. Für alle Lehrpersonen gilt: Die Schülerinnen und Schüler müssen die Hausaufgaben zwingend selbständig lösen können.

 

Quellen:
Trautwein, Ulrich / Köller, Olaf / Baumert, Jürgen (2001): Lieber oft als viel: Hausaufgaben und die Entwicklung von Leistung und Interesse im Mathematik-​Unterricht der 7. Jahrgangsstufe. In: Zeitschrift für Pädagogik, 47, 5, S. 703-724. Online abgerufen am 24.03.2015.

John Hattie auf BBC Radio 4. Online abgerufen am 24.3.201

The post Hausaufgaben – Selbständig oder gar nicht first appeared on Condorcet.

]]>
https://condorcet.ch/2023/05/hausaufgaben-selbstaendig-oder-gar-nicht/feed/ 2
Eine alljährlich wiederkehrende Diskussion neben der Spur https://condorcet.ch/2023/04/eine-alljaehrlich-wiederkehrende-diskussion-neben-der-spur/ https://condorcet.ch/2023/04/eine-alljaehrlich-wiederkehrende-diskussion-neben-der-spur/#comments Tue, 11 Apr 2023 05:31:22 +0000 https://condorcet.ch/?p=13668

Ähnlich wie die Forderung, doch jetzt endlich die Noten in der Schule abzuschaffen, gelingt es dem Begehren nach Abschaffung der Hausaufgaben regelmässig, in die Medienlandschaft zu gelangen. Auffallend dabei, mit wie wenig Kenntnis über dieses Thema gestritten wird. Condorcet-Autor Alain Pichard über ein Ritual, das an Öde kaum zu überbieten ist.

The post Eine alljährlich wiederkehrende Diskussion neben der Spur first appeared on Condorcet.

]]>
Nicht der Weisheit letzter Schluss.

Den diesjährigen Reigen zur Abschaffung der Hausaufgaben eröffnete Andreas Niklaus, Rektor der Kantonsschule Zürich Nord – mit 2200 Schülerinnen und Schülern eines der grössten Schweizer Gymnasien. Er mache sich Sorgen, der Stoffdruck, die Erwartungen der Eltern, der Lehrer, ja auch die der Jugendlichen erzeuge Stress. Er fordere deshalb, die Hausaufgaben abzuschaffen. In unserem nördlichen Nachbarland doppelte die Linke-Vorsitzende Janine Wissler nach und verlangte fast zeitgleich die Abschaffung der Hausaufgaben. Sie argumentiert vor allem mit der fehlenden Chancengleichheit und der Tatsache, dass viele Eltern aus bildungsfernen Schichten mit den Hausaufgaben überfordert seien. Und prompt ist damit eine Diskussion lanciert, die auch die Gegner auf den Plan ruft. Dort sieht man eine Leistungskultur am Zerfallen und warnt vor der immer weiter sinkenden Bildungsqualität.

Alain Pichard, Lehrer Sekundarstufe 1, GLP-Grossrat im Kt. Bern und Mitglied der kantonalen Bildungskommission

Erstaunlich an der ganzen Debatte ist, dass sich niemand fragt, was denn eigentlich Hausaufgaben sind.

Hierzu eine kleine Übersicht: 80% der Hausaufgaben sind Übungsaufgaben. In der Kette eines Lernprozesses ist das Glied des Übens ein entscheidendes Kettenglied. Findet das Üben nicht oder unter ungünstigen Bedingungen statt, dann ist der Lernerfolg gefährdet. Und weil die Lernverhältnisse in den Elternhäusern sehr verschieden sind, ist die Wirkung von Hausaufgaben diesbezüglich problematisch. Das haben wir aber an den Schulen längst erkannt. Deshalb gibt es in vielen Schulen sogenannte SOL-Lektionen, (SOL = Selbstorganisiertes Lernen), ILF (individuelle Lernförderung) oder betreute Mittagstische, in welchen die Schüler im Beisein einer Lehrkraft u. a. genau solche Übungsaufgaben lösen können. Die Lehrkräfte an unserer Schule müssen zwei solche Lektionen übernehmen, werden aber nur für eine bezahlt, weil dieser «Hütedienst» keine Vor- und Nachbereitung abverlangt.

Neben den Übungsaufgaben gibt es die sogenannten Lernaufträge. Der Französischlehrer kündigt einen Test an, in welchem die Passé composé-Formen abgefragt werden. Hier helfen die neuen Medien mit einfachen Apps, welche die Schüler auf ihrem Handy abrufen können (Quizlet). Aber auch Physikproben oder Geschichtsteste wollen gelernt sein. Interessant ist, dass genau diese Art Hausaufgaben in den Reglementen wohlweislich von allen Regulierungen ausgenommen sind. Der Grund liegt  auf der Hand. Die Grundkompetenzen im Fach Mathematik verlangen die Beherrschung der vier Grundoperationen im Bruchrechnen. Nicht alle Schüler schaffen dies ohne Weiteres. Einige müssen mehr lernen als ihre Kameraden, welche die Regeln schneller erfassen. Eine der vielen Kränkungen, die uns das Leben beschert. Ich musste im Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Gymnasium stundenlang den Kosinussatz lernen, bis ich ihn begriff. Mein Freund und Mathegenie David hatte dies jeweils in Sekundenschnelle im Griff. Nicht selten kommen Schüler zu mir und bitten um sogenannte Zusatzaufgaben, mit denen sie für den bevorstehenden Test lernen können. Auch hier stehen uns gute Übungsaufgaben sowohl in Digitalform oder auf Papier zur Verfügung.

Projektaufträge können auch zu einer Bereicherung der Freizeitgestaltung führen.

Und schliesslich gibt es noch die Projektaufträge, wie zum Beispiel die Präsentation eines Buches, das Porträt eines Landes, die Planung und Durchführung eines Chemieexperiments. Sie sind bei den Schülerinnen durchaus beliebt, weil sie stark auf dem Erkunden ausgerichtet sind. Ich wage zu behaupten, dass diese Art «Hausaufgaben» durchaus zu einer Bereicherung der Freizeitgestaltung führen können.

Als Lehrer mit 44-jähriger Unterrichtspraxis weiss ich natürlich, dass es auch blödsinnige Aufgaben gibt.

Als Lehrer mit 44-jähriger Unterrichtspraxis weiss ich natürlich, dass es auch blödsinnige Aufgaben gibt. Es ist belegt, dass leider immer noch die meisten Hausaufgaben in den letzten paar Minuten einer Lektion erteilt werden, also schlecht in den Unterricht integriert sind. Es handelt sich dabei oft um «Fertigstellungsaufgaben». Und eine Tatsache ist auch, dass die Ergebnisse der Hausaufgaben in der Regel eher unzulänglich im Unterricht behandelt werden. Hausaufgaben als Strafe soll es immer noch geben.

Aber sind diese Mängel ein Grund, Hausaufgaben abzuschaffen? Sicher nicht! Und sind Hausaufgaben mit der Chancengleichheit unvereinbar? Das ist ein ausgekochter Blödsinn. Gerade die Hausaufgaben erlauben es den weniger talentierten Schülern, die Grundkompetenzen in einem Fach zu erfüllen und die Ziele mit Fleiss zu erreichen.

Es gab und gibt immer wieder Versuche, die Hausaufgaben zu regulieren. So wollte man der drohenden Überforderung der Schüler beispielsweise mit einem Zeitrahmen beikommen. Maximal 2 Stunden an der Primarschule, maximal 3 Stunden an der Oberstufe. Und manchmal fragen auch Eltern während eines Elterngesprächs, ob ihr Kind nicht zu viel Hausaufgaben hätte. Grundsätzlich aber wollen über 75% der Eltern, dass ihre Kinder Hausaufgaben erhalten, wie eine Umfrage des Nachrichtenmagazins FOCUS ergab.

In meiner Praxis setze ich Hausaufgaben massvoll ein, will heissen, die Schüler müssen auch ihre Freizeit haben. Vor allem aber kontrolliere ich die Hausaufgaben und evaluiere sie, indem ich meine Schüler frage, wie sie diese Aufgaben gelöst haben, wo sie Probleme hatten. Nicht gemachte Hausaufgaben werden nicht sanktioniert, sind aber Teil des Elterngesprächs.

Eltern sollen die Hausaufgabe kontrollieren, aber nicht als Hausaufgabenhilfe missbraucht werden. Das sage ich den Eltern jeweils immer zu Beginn eines Zyklus.

Ich achte darauf, dass die Hausaufgaben von den Lernenden selbständig erledigt werden können. Eltern sollen die Hausaufgabe kontrollieren, aber nicht als Hausaufgabenhilfe missbraucht werden. Das sage ich den Eltern jeweils immer zu Beginn eines Zyklus. Hausaufgaben sollten sinnvoll, das heisst, sie sollten in den Unterricht eingebettet sein. Projektaufträge sollen attraktiv gestaltet werden.

Letzte Woche hat der Schülerrat an unserer Schule eine Eingabe gemacht: Man solle die Anzahl der SOL-Lektionen von drei auf zwei senken. Grund: Vielen Schülern sei es während den SOL-Lektionen zu laut, einige von ihnen lernten grundsätzlich lieber zu Hause als in der Schule.

Was den Stress betrifft, den Hausaufgaben auslösen sollen, so darf ich feststellen: Die Schule ist eher die Institution, welche versucht, die Erwartungen der Eltern – und die sind das eigentliche Problem – in realistische Bahnen zu lenken. Wir wollen glückliche Schüler. Aber es muss möglich sein, dass auch weniger talentierte Schüler mit Fleiss und Einsatz ihre Ziele erreichen können. Viele tun dies von sich aus, einige leider auch unter dem permanenten Erwartungsdruck der Eltern. Brisantes Detail: Letzte Woche hat der Schülerrat an unserer Schule eine Eingabe gemacht: Man solle die Anzahl der SOL-Lektionen von drei auf zwei senken. Grund: Vielen Schülern sei es während den SOL-Lektionen zu laut, einige von ihnen lernten grundsätzlich lieber zu Hause als in der Schule.

Wir Lehrkräfte halten uns an die im Lehrplan formulierten Grundkompetenzen. Sie sollten von allen Lernenden erreicht werden. Wenn eine immer grösser werdende Zahl unserer Schüler diese Grundkompetenzen nicht erreicht, liegt es weder an den zu vielen noch an den zu wenigen Hausaufgaben.

Das Gebot der Stunde wäre ein markanter Lektionenabbau, aber sicher nicht die Abschaffung der Hausaufgaben.

Die völlige Überfrachtung der Lehrpläne, das «Immer mehr», gekoppelt an die vielen überfachlichen Kompetenzen, haben aus der Schule ein Gemischtwarenhandel gemacht, der kaum mehr Prioritäten kennt. Profunde Lernziele sind durch einen beliebigen Kompetenzquark ersetzt worden. Das hat zu Folge, dass die Schule Ziele zu erreichen versucht, die ausserhalb der Möglichkeit von Unterricht liegen. Die Konsequenz ist, dass Vieles  gemacht und abgehakt, aber kaum mehr gründlich durchgenommen wird. Die Schüler gehen so viel in die Schule, wie noch nie, es herrscht eine beispiellose Hektik. Die Lösung wäre hier ein «Back to the roots» oder wie es die Amerikaner ausdrücken ein «Reduce to the Max». Das Gebot der Stunde wäre ein markanter Lektionenabbau, aber sicher nicht die Abschaffung der Hausaufgaben. Gerade mit diesen

Eine Gesellschaft, die will, dass nichts grossartig ist, weil wo was gross ist, es rundherum klein aussieht, beschneidet in erster Linie die Gestaltungskraft der Kinder.

Hausaufgaben, wird auch die Autonomie und Mündigkeit der Lernenden unterstützt. Die Hausaufgaben bilden – wirksam eingesetzt – eine wertvolle Ergänzung zum Unterricht. Und sie erfüllen darüber hinaus, die von der Bildungsnomenklatura immer wieder betonte Prämisse: Individualisierung.

Und denjenigen, die sich durch die Abschaffung der Hausaufgaben eine markante Vergrösserung der Chancengerechtigkeit erhoffen, kann man nur zurufen: «Na, dann versucht es mal!»

Meine Tochter hat ganze Mittwochnachmittage an Schulaufträgen gearbeitet, mit Hingabe und sehr oft mit Freude. Als sie eines Abends um 22.00 Uhr immer noch am Plakat für ihren Vortrag malte, forderte ich sie auf, ins Bett zu gehen. Sie tat es, stellt den Wecker und stand um 05.00 Uhr auf der Matte. Das Plakat wurde fertig. Meine Tochter war mächtig stolz. Eine Gesellschaft, die will, dass nichts grossartig ist, weil wo was gross ist, es rundherum klein aussieht, beschneidet in erster Linie die Gestaltungskraft der Kinder.

Dieser Artikel ist zuerst im Nebelspalter erschienen.

 

 

The post Eine alljährlich wiederkehrende Diskussion neben der Spur first appeared on Condorcet.

]]>
https://condorcet.ch/2023/04/eine-alljaehrlich-wiederkehrende-diskussion-neben-der-spur/feed/ 1
Wenn Bildungsreformen die Bildungsschere weiten https://condorcet.ch/2021/10/wenn-bildungsreformen-die-bildungsschere-weiten/ https://condorcet.ch/2021/10/wenn-bildungsreformen-die-bildungsschere-weiten/#comments Wed, 27 Oct 2021 08:27:18 +0000 https://condorcet.ch/?p=9636

Bildung erzeugt immer Differenz. Das ist so. Und gleichzeitig muss die Schule für Chancengleichheit sorgen. So will es der Auftrag. Doch wie weit wird er durch die aktuelle Reformwelle erschwert? Diese Frage beschäftigt Condorcet-Autor Carl Bossard.

The post Wenn Bildungsreformen die Bildungsschere weiten first appeared on Condorcet.

]]>
Carl Bossard: Jugendliche aus sozial schwächerem Milieu haben es schwerer als Akademikerkinder.

Seit bald 30 Jahren jagt eine Schulreform die andere. Es sind Hunderte von Teilprojekten. Und die Wirkung im Ganzen? Kaum jemand hat den Überblick; die Effekte ernüchtern nicht selten.[i] Und es wird weiterreformiert – immer auch mit dem Ziel: mehr Chancengleichheit bei ungleichen Startchancen erzielen oder Chancengerechtigkeit schaffen, wie es der neue Begriff postuliert.

Der elterliche Status prägt

Unzählige empirische Forschungsprojekte beschäftigen sich mit der Lernerfolg junger Menschen und ihrer sozialen Herkunft. Dieses Feld zählt wohl zu den bestuntersuchten Forschungsgebieten der Pädagogik. Da werden Korrelationen hergestellt, da werden die Bücher im Elternhaus überprüft und die Bildungszertifikate gezählt und daraus der akademische Abschluss der Kinder prognostiziert. Das Ergebnis ist immer das gleiche: Jugendliche aus sozial schwächerem Milieu haben es schwerer als Akademikerkinder. Diagnostiziert wird der berühmte Matthäus-Effekt: „Wer hat, dem wird gegeben.“ Das generelle Fazit aus den Studien zur Bildungsungleichheit: Der elterliche Hintergrund prägt, der sozioökonomische Status determiniert.

Die Zahlen zeigen es: 2016 stammten gem. Bundesamt für Statistik 43 Prozent der Studierenden aus Familien, in denen mindestens ein Elternteil über einen Hochschulabschluss verfügte.[ii] Die Folge: Man ruft nach Massnahmen auf systemischer Ebene, man verlangt Eingriffe in die Strukturen, man fordert beispielsweise spätere Übertritte oder gar die Abschaffung der Übertrittsprüfung.

Was der bildungspolitische Diskurs oft vergisst

Und doch gelingt vielen der berühmte Aufstieg durch Bildung. Aus der Forschung wissen wir: Wirkung erzielen nicht primär Strukturen; das Systemische allein schafft die erhofften Effekte und Lernerfolge kaum. Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit auf systemischer Ebene bleiben letztlich Utopie – ebenso wie die Losung, gesellschaftliche Gleichheit durch pädagogische Gleichheit zu erreichen zu können. Wirkung geht immer von Menschen aus, in der Schule konkret von den einzelnen Lehrpersonen. Entscheidend ist, was innerhalb der Strukturen, was in den zwischenmenschlichen Interaktionen passiert – oder anders ausgedrückt: Wie gut der Unterricht ist. Im bildungspolitischen Diskurs geht das schnell vergessen. Ein Denkfehler!

Darum können auf personaler Ebene Lehrerinnen und Lehrer einen Unterschied machen und vor allem die weniger privilegierten Kinder und Jugendlichen auf ihrem Lern- und Lebensweg unterstützen.

Die Haltung zum Lernen verändern

Und noch etwas wissen wir: Jeder Bereich einer förderlichen Begegnung ist personal und hängt in hohem Masse davon ab, wie sehr wir als Person berührt werden und uns angesprochen fühlen. Das gilt ganz besonders für den Unterricht. Darum können auf personaler Ebene Lehrerinnen und Lehrer einen Unterschied machen und vor allem die weniger privilegierten Kinder und Jugendlichen auf ihrem Lern- und Lebensweg unterstützen. Sie haben es in der Hand, dass (auch) diese Schülerinnen und Schüler fachlich und menschlich besonders gefördert und vor allem gefordert werden. Darum betont Roland Reichenbach, Pädagogikprofessor an der Universität Zürich, dezidiert: „Nicht Tablets und digitale Techniken sind dringlich, vielmehr benötigen heute zahlreiche Kinder und Jugendliche vermehrt Anleitung, Unterstützung, Rückmeldung und Ermutigung.“[iii] Das fördert sie auch in ihrer Haltung zum Lernen. Und das kann allein von vital präsenten Menschen geleistet werden.

Darum fordert Reichenbach angeleitete Lernprozesse. Sie erzielen hohe Wirkwerte. Gleichzeitig erstaunt immer wieder, wie viele Schulreformer jegliches pädagogische Denken und Handeln ausschliesslich vom Lernenden her sehen wollen.

Prof. Roland Reichenbach: Die empirischen Studien belegen es einfach.

Selbstbestimmung erfordert angeleitete Lernprozesse

Wichtig ist eben die Lehrperson und entscheidend ihr Unterricht. Die empirische Unterrichtsforschung belegt es vielfach. Darum fordert Reichenbach angeleitete Lernprozesse. Sie erzielen hohe Wirkwerte. Gleichzeitig erstaunt immer wieder, wie viele Schulreformer jegliches pädagogische Denken und Handeln ausschliesslich vom Lernenden her sehen wollen. Sie marginalisieren so das Bedeutsame der Lehrerin und degradieren den Lehrer zum blossen Lernbegleiter. Unter dem propagierten „Shift from Teaching to Learning“ darf er nicht mehr Lehrer sein, sondern nur noch „Guide at the Side“.[iv]

Zur Verantwortung fürs autonome Lernen führen

Dieser reformpädagogische Überoptimismus geht vom kindlichen Können und Vermögen ohne jede Anleitung aus. Verschiedene Lernpsychologen wie der Berner Hochschullehrer Hans Aebli zeigen aber auf, dass die kognitive Entwicklung der Kinder von aussen nach innen verläuft und – je nach Voraussetzung – mehr oder weniger angeleitet von einem kompetenteren Gegenüber.[v]

Lernen, Denken und Problemlösen sind zunächst immer sozial. Das Ich wird am Du ein Selbst – im Dialog zwischen zunächst ungleichen Partnern. Nach und nach übernehmen die Lernenden die Verantwortung für ihr Lernen und ihr autonomes Weiterkommen. Doch von selbst entsteht das nur bei wenigen. „Im Andern zu sich selbst kommen,“ resümiert darum der Philosophen Georg Friedrich Hegel das Wesen der Bildung. Oder konkret auf das pädagogische Parterre übertragen: Vor allem leistungsschwächere und mittelstarke Kinder und Jugendliche sind mit Selbstorganisation und Eigenverantwortung für ihr Lernen oft überfordert; das weiss jede engagierte Lehrerin, das ist jedem erfahrenen Pädagogen bewusst.

Professor Juergen Oelkers: Meine Frau und ich mussten das korrigieren.

Die Hilfe aus dem Elternhaus

Viele moderne Reformen aber gehen von der Utopie des selbstregulierten Lernens und der selbstorganisierten Bildung aus. Mit diesem Blickwinkel wird das Lernen unbemerkt zunächst an die Eltern delegiert – und in letzter Konsequenz den Kindern und Jugendlichen selbst überantwortet. Ob das die vielzitierte Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit stärkt?

Zwei Beispiele illustrieren die Tendenz. Die Reform hat viele Namen: Schreiben nach Gehör, lauttreues Schreiben, Lesen durch Schreiben oder „Reichen-Methode“, benannt nach dem Erfinder, dem Schweizer Reformpädagogen Jürgen Reichen.[vi] Die Kinder lernen mit einer „Anlauttabelle“ texten – selbstgesteuert. Sie schreiben dann drauflos, ohne auf die Rechtschreibung zu achten. Die Lehrerin darf weder intervenieren noch korrigieren. Dazu der emeritierte Pädagogikprofessor Jürgen Oelkers, Universität Zürich: „Schüler prägen sich durch falsches Schreiben die eigenen Fehler ein. Unsere Söhne haben nach diesem Prinzip schreiben gelernt. Aber meine Frau und ich haben das zu Hause einfach immer korrigiert.“[vii] Der Vorteil des bildungsaffinen Elternhauses! Und die anderen Kinder?

Die Schere im Bildungsmilieu weitet sich

Ein zweites Beispiel: Verschiedene kommunale Schulen streichen die offiziellen Hausaufgaben. Man postuliert Chancengleichheit. Die Bildung aber kennt das „Gesetz der nicht beabsichtigen Nebenwirkungen“. Formuliert hat es der Philosoph und Pädagoge Eduard Spranger. Kaum jemand beachtet es – so wenig vielleicht wie die Beipackzettel von Medikamenten und ihre möglichen Kollateralfolgen. Wer die Hausaufgaben abschafft, schafft sie trotzdem nicht ab. Bildungsbewusste Eltern werden mit ihren Kindern weiterhin wiederholen und automatisieren. Sie wissen um den Wert des Übens und Festigens. Kinder aus anderen Familien haben diese Chance vielleicht nicht. Die nicht beabsichtigte Folge: Die Schere im Bildungsmilieu öffnet sich weiter.

Junge Menschen haben nur eine Bildungsbiografie. Das unterscheidet sie von industriellen Produktionsgütern. Mit Werkstücken kann man experimentieren; mit jungen Menschen sollte man das nicht. Bildungspolitiker müssten darum bei jeder Reform die altrömische Devise beachten: „[…] et respice finem“ – die Folgen abschätzen. Ein Grundsatz ohne Verfalldatum!

[i] Martin Beglinger: „Das ist vernichtend!“ Die Antworten der Bildungsforscher über die Wirkung der Schulreformen in der Schweiz sind ernüchternd, in: NZZ, 31.08.2018.

[ii] https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bildung-wissenschaft/bildungsindikatoren/themen/zugang-und-teilnahme/soziale-herkunft-hs.html [Status: 23.10.2021]

[iii] Roland Reichenbach (2020): Homeschooling, Distant Learning und das selbstorganisierte Kind, in: Merkur 08, S. 38.

[iv] Ewald Terhart (2018): Eine neo-existenzialistische Konzeption von Unterricht und Lehrerhandeln? Zu Gert Biestas Wiederentdeckung und Rehabilitation des Lehrens und des Lehrers, in: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Pädagogik, 94 (2018) 3, S. 479.

[v] Hans Aebli (1978): Von Piagets Entwicklungspsychologie zur Theorie der kognitiven Sozialisation, in: Gerhard Steiner (Hrsg.): Die Psychologie des 20. Jahrhunderts. Band VII: Piaget und die Folgen. Zürich: Kindler S. 604-627.

[vi] Barbara Höfler (2019): Sind fiele Feler schädlich? In: NZZ Folio 4, S. 32.

[vii] https://www.wireltern.ch/artikel/wer-sagt-dass-kinder-sich-nicht-anstrengen-sollen [Status: 23.10.2021]

 

The post Wenn Bildungsreformen die Bildungsschere weiten first appeared on Condorcet.

]]>
https://condorcet.ch/2021/10/wenn-bildungsreformen-die-bildungsschere-weiten/feed/ 1
Selektive Sicht auf den Unterricht https://condorcet.ch/2021/02/selektive-sicht-auf-den-unterricht/ https://condorcet.ch/2021/02/selektive-sicht-auf-den-unterricht/#comments Tue, 02 Feb 2021 10:25:34 +0000 https://condorcet.ch/?p=7620

Über den Wert der Hausaufgaben kann man geteilter Meinung sein. Wer sich dabei auf wissenschaftliche Studien beruft, sollte bestimmte Erkenntnisse nicht einfach ausblenden. Ein Zwischenruf von Condorcet-Autor Carl Bossard.

The post Selektive Sicht auf den Unterricht first appeared on Condorcet.

]]>
Carl Bossard: Bildungsbewusste Eltern werden ihre Kinder weiterhin anregen.

Es geht auch ohne „Ufzgi“! Unter diesem Titel berichtet die NZZ über die Zürcher Schulgemeinde Männedorf; sie startet ein Pilotprojekt und schafft für die Erst- bis Drittklässler die obligatorischen Hausaufgaben ab.[1] Ersetzt werden sie mit Schulaufgaben. Die Gemeinde ist nicht allein. Verschiedene kommunale Schulen haben die „Ufzgi“-Pflicht aufgehoben, so beispielsweise Köniz, Kriens oder Arbon. Sie werden wohl nicht die Einzigen bleiben und Nachahmer finden.

Bildungsgerechtigkeit dank Hausaufgabenverbot?

Die Hausaufgaben stehen seit Längerem unter Druck. Remo Largo, der kürzlich verstorbene Kinderarzt und bekannte Bestsellerautor, meinte lakonisch: “Hausaufgaben bringen gar nichts. Schüler und Eltern werden damit nur schikaniert.”[2] Fehlender Lerneffekt und schulische Schikane sind die beiden Hauptvorwürfe gegenüber den Hausaufgaben.[3]

Remo Largo: Hausaufgaben bringen gar nichts.
Bild: KEYSTONE/Gaetan Bally

Hausaufgaben würden überdies die soziale Ungleichheit in Bildungsprozessen verstärken, das Leistungsgefälle vergrössern und so die Chancengleichheit erschweren, lautet ein dritter Einwand. Stefan C. Wolter, der Direktor der Schweizerischen Koordinationsstelle für Bildungsforschung, forderte darum ein Hausaufgabenverbot bis zur vierten Primarklasse. Von dieser Massnahme profitierten vor allem Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund.[4] Ihnen bereiteten die Hausaufgaben deutlich mehr Mühe.

Beliebte Wenn-Dann-Korrelation

Auch die Schule Männedorf begründet ihren Entscheid mit der Bildungsgerechtigkeit. Alle Kinder sollten die gleichen Chancen haben.[5] Mit diesem Argument setzt die Schulgemeinde auf die Wenn-Dann-Beziehung: Wenn wir die Hausaufgaben abschaffen, dann erhöhen wir die Chancengleichheit für alle. Mit dieser Ansicht steht Männedorf nicht alleine. Doch ist es wirklich so einfach?

Wer die Hausaufgaben abschafft, schafft sie trotzdem nicht ab, selbst wenn der reguläre Unterricht sie mit sogenannten Lernzeiten und Schulaufgaben kompensiert.

Bildung und Erziehung kennen das „Gesetz der ungewollten Nebenwirkungen“. Formuliert hat es der Philosoph und Pädagoge Eduard Spranger.[6] Kaum jemand beachtet es – so wenig wie die Beipackzettel von Medikamenten. Verschiedene Schulen streichen darum die offiziellen Hausaufgaben. Ihre Begründung: Sie wollen Bildungsgerechtigkeit. Und die Nebenwirkung? Wer die Hausaufgaben abschafft, schafft sie trotzdem nicht ab, selbst wenn der reguläre Unterricht sie mit sogenannten Lernzeiten und Schulaufgaben kompensiert.

Regelmässige und kurze Hausaufgaben

Bildungsbewusste Eltern werden ihre Kinder weiterhin anregen, mit ihnen vielleicht sogar wiederholen und automatisieren. Sie wissen um den unverzichtbaren Wert des Repetierens, des Nachbereitens und Vorbereitens, des (Nach-)Denkens. Kinder aus anderen Familien haben diese Chance vielleicht nicht. Die nicht beabsichtigte Folge: Die Schere im Bildungsmilieu öffnet sich weiter. Doch der Schulerfolg darf nicht vom elterlichen Bildungsniveau oder Portemonnaie abhängig sein.

Die Schere im Bildungsmilieu öffnet sich weiter.

Niemand will das. Darum müsste Sprangers „Gesetz der ungewollten Nebenwirkungen“ auch hier ernst genommen werden. Alle Kinder haben das Recht auf dieses zusätzliche Gefäss. Regelmässige und kurze, zum Denken und Handeln anregende (Haus-)Aufgaben sind darum wichtig. Dazu gehören sinnvolle, spielerische, entdeckende Elemente.

Nichts zu suchen haben Hausaufgaben als Ersatz für fehlende Übungsphasen oder zum Nachholen, was der Unterricht aus didaktischem Unvermögen versäumt hat.

Hausaufgaben öffnen ein Fenster zur Schule

Nichts zu suchen haben Hausaufgaben als Ersatz für fehlende Übungsphasen oder zum Nachholen, was der Unterricht aus didaktischem Unvermögen versäumt hat. Fehl am Platz sind beispielsweise Arbeitsblätter mit repetitivem Charakter. Das ist nicht der Sinn von Hausaufgaben, sondern deren Perversion. Ebenso wenig dürfen sie die Eltern in die Rolle von Ersatzlehrpersonen oder Hilfssheriffs zwängen; allerdings können sie ihnen ein Fenster zur Schule öffnen und Grundlage für Gespräche mit den Kindern schaffen. Das Interesse der Eltern wirkt sich vorteilhaft aus. Auch das weiss man aus der Forschung.

Bezug auf die Hattie-Metastudie

John Hattie: Moderate Effektstärke

Bei ihrem Hausaufgaben-Entscheid bezieht sich die Schule Männedorf explizit auf den renommierten neuseeländischen Bildungsforscher John Hattie. Seine Studie „Visible Learning“ ist wegen ihrer enormen Datenbasis besonders beachtenswert. Hattie untersuchte die Lernwirksamkeit von rund 250 Einzelbefunden wie die Klassenführung oder das bewusste Üben. Er beziffert den durchschnittlichen Effekt aller Einflussgrössen auf die Schülerleistung mit einem Kennwert von 0.4. Diese Grösse markiert für Hattie den Bereich der „erwünschten Effekte“.[7] Das gezielte Feedback beispielsweise erreicht eine Wirkgrösse von 0.75, die Glaubwürdigkeit der Lehrperson den hohen Wert von 0.9.

Den Hausaufgaben ordnet Hattie die moderate Effektstärke von 0.33 zu.[8] Bei jüngeren Kindern sind die Wirkwerte kleiner. Auch wenn der Lernwert der Hausaufgaben nur mässig positiv ausfällt, ist das kein Grund, sie abzuschaffen, wohl aber, sie präzis und dosiert zu erteilen, sie zu evaluieren und zu kommentieren – in Hatties Sprache: sie mit andern Wirkwerten synergetisch zu verbinden.

Eine Effektstärke allein wirkt wenig

Ein Beispiel erklärt Hatties Denken und seine Daten: Das Fachwissen der Lehrerin erzielt in seinen empirischen Studien den minimen Wirkwert von 0.09. Das erstaunt auf den ersten Blick. Nun könnte man schliessen, ein Lehrer brauche ja gar keine Fachkompetenz. Das Gegenteil ist der Fall. Zum Tragen kommt sie aber erst in Kombination mit den wichtigen Wirkfaktoren des pädagogischen Engagements und dem didaktischen Können. Erst das Zusammenspiel von elementaren und wirksamen Unterrichtsvariablen führt zu effektvollen Prozessen und damit zu effektivem Lernen.

Gleich geht es der vielgepriesenen Individualisierung. Als (Einzel-)Effektwert erreicht sie lediglich die unbedeutende Grösse von 0.22 und ist für den Lernerfolg der Kinder wenig wirksam. Wenn Schülerinnen und Schüler bei dieser Methode allein gelassen werden, sind sie vielfach überfordert – das gilt besonders für lernschwächere Kinder. In der Debatte um Bildungsgerechtigkeit geht das gerne vergessen. Wirksam wird diese anspruchsvolle Unterrichtsform erst, wenn junge Menschen auf Lehrerinnen und Lehrer stossen, die ihnen Halt und Orientierung geben, die ihnen Resonanzen vermitteln und sie ermutigen. Es sind alles Einflussgrössen, in denen sich die personale Ebene des Unterrichts widerspiegelt. Sie erzielen einen hohen Wirkwert: etwa die Lehrer-Schüler-Beziehung (0.72) oder die besondere Unterstützung von Kindern mit Lernschwierigkeiten (0.77).

Nicht der Weisheit letzter Schluss

Abschaffen ist nicht der Weisheit letzter Schluss

Es geht auch ohne „Ufzgi“!, bilanziert die NZZ etwas gar salopp und zitiert dabei John Hattie. Doch ein präziser Blick auf das Zusammenspiel vieler Variablen aus der empirischen Unterrichtsforschung, wie es Hattie implizit voraussetzt, kommt nicht zum gleich euphorischen Schluss. Im Gegenteil! Kurze und regelmässige, kontrollierte und über individuelle Feedbacks kommentierte Hausaufgaben haben durchaus ihren Wert. „Die Gesamteffekte sind positiv“, resümiert Hattie.[9] Auch hier gilt: Entscheidend sind die Lehrerinnen und Lehrer.

 

[1] In: NZZ, 14.01.2021, S. 17

[2] Peter Krebs, Ein pädagogisches Ritual überlebt. In: NZZ, 30.09.2013, S. 42.

[3] Vgl. Mario Andreotti (2019), Hausaufgaben – leeres Ritual oder notwendig? In: Eine Kultur schafft sich ab. Beiträge zu Bildung und Sprache. Schwellbrunn: FormatOst, S. 81f.

[4] Yannick Nock, Brisante Idee: Hausaufgabenverbot für Primarschüler? In: Aargauer Zeitung, 06.04.2018.

[5] Lena Schenkel, Die Hausaufgaben werden je länger, je mehr zu Schulaufgaben, in: NZZ 14.01.2021, S. 13.

[6] Eduard Spranger (1962), Das Gesetz der ungewollten Nebenwirkungen in der Erziehung. Heidelberg: Quelle und Meyer.

[7] John Hattie & Klaus Zierer (2018), VISIBLE LEARNING. Auf den Punkt gebracht. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, S. 30.

[8] Dies. (2017), Kenne deinen Einfluss! „Visible Learning“ für die Unterrichtspraxis. 2. Aufl. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, S. 200.

[9] John Hattie (2013), Lernen sichtbar machen. Überarbeitete deutschsprachige Ausgabe von “Visible Learning”, besorgt von Wolfgang Beywl und Klaus Zierer. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, S. 276.

 

The post Selektive Sicht auf den Unterricht first appeared on Condorcet.

]]>
https://condorcet.ch/2021/02/selektive-sicht-auf-den-unterricht/feed/ 2
Für Sie gelesen: „Deutschland verdummt“ https://condorcet.ch/2019/11/fuer-sie-gelesen-deutschland-verdummt/ https://condorcet.ch/2019/11/fuer-sie-gelesen-deutschland-verdummt/#comments Mon, 18 Nov 2019 11:10:19 +0000 https://condorcet.ch/?p=2889

Alarmiert durch besorgniserregende Schulreformen rechnet der Psychiater Michael Winterhoff schonungslos mit dem deutschen Schulsystem ab. Wie bei vielen Entwicklungen um einige Jahre verspätet, greifen diese, gefördert durch den Lehrplan 21, auch in der Schweiz um sich. Trotz Winterhoffs apokalyptischer Neigung möge sein Buch Lehrkräfte darin bestärken, einen pädagogisch verantwortungsvollen Kurs zu halten oder einen solchen in Erinnerung zu rufen - gerade angesichts der bildungspolitischen Reformhysterie. Vor allem aber sollten es Bildungspolitiker lesen, die sich dazu berufen fühlen, auf einem ihnen fremden Terrain Entscheidungen zu treffen, meint der Sekundarlehrer Felix Hoffmann, der das Buch gelesen hat.

The post Für Sie gelesen: „Deutschland verdummt“ first appeared on Condorcet.

]]>
Felix Hoffmann, Sekundarlehrer, BL, Mitglied LVB, Starke Schule beider Basel

Im Kindergarten und der Grundschule sollen Kinder seit neuestem möglichst frei sein von Erwartungen und Anweisungen der Erwachsenen. Je nach Lust und Laune sollen sie aus einem limitierten Stoffangebot selber entscheiden dürfen, womit sie sich wann, wie und wo beschäftigen wollen. In diesem sogenannten „offenen Unterricht“ sollen sich die Lernenden autonom selbst organisieren. Die von Hattie als erfolgreich bewertete direkte Instruktion und Lehrkräfte als Wissensvermittler haben hier nichts mehr verloren.

Lärmpegel von Kreissägen

Winterhoff bezeichnet dieses System als „Stätten des organisierten Verwahrens“ und macht es verantwortlich für die sprunghaft gestiegene Zahl an psychisch auffälligen Kindern sowie völlig unzureichende Leistungen in Schule und Berufsausbildung. Hierfür nennt er unterschiedliche Gründe. Einer vorneweg: In solchen Lernsettings entstehen Geräuschpegel von bis zu 85 Dezibel. Schreiende Kinder erreichen bis zu 110 dB(A) und übertreffen damit Kreissägen und Presslufthämmer. Wollen sich Lehrkräfte Gehör verschaffen, müssen sie den Geräuschpegel mit ihrer Stimme um 10 bis 15 dB(A) übertreffen. Weit verbreitete Stimmbandprobleme unter Lehrpersonen sind die Folge.

Die Methode “Reichen” als mahnendes Beispiel

Ein weiterer Grund für abnehmende schulische Leistungen erkennt Winterhoff in den von oben nach unten verordneten Unterrichtsformen, die den Erfahrungen der Lehrkräfte widersprechen und sich somit als nicht zielführend herausstellen. Als Beispiel verweist er u.a. auf die Methode „Schreiben nach Gehör“ des Schweizers Jürgen Reichen, die während zwanzig Jahren Heerscharen von Schülern mit katastrophalen Orthographiedefiziten zurückliess. Deshalb wurde sie in etlichen deutschen Bundesländern und u.a. im Kanton Nidwalden verboten.1 Nebenbei bemerkt, wird Reichens zweite Methode, „Lesen durch Schreiben“, die ebenfalls auf der völligen Vernachlässigung von Regeln basiert, auf das Schuljahr 2020/21 im Aargau untersagt.2

Regeln? Wir brauchen keine Regeln!

Methode Reichen

In den Reichen-Methoden erkennt Winterhoff eine grundsätzlich negative „Einstellung der 68-Generation gegenüber gemeinschaftsstiftenden Übereinkünften…: „Regeln? Wir brauchen keine Regeln!“ Die Gleichstellung von Erwachsenen und Kindern nimmt in den 68ern ihren Anfang. In der Folge haben „Erwachsene Kindern nichts zu sagen.“ Sie entwickeln sich quasi spontan von selbst. Man muss sie nur in Ruhe lassen. Dem gleichen Irrtum unterliegt ferner auch die Mehrsprachigkeitsdidaktik3. „Als die 68-Generation bei ihrem Marsch durch die Institutionen an die entsprechenden Positionen aufrückte, war der Weg frei, diese Weltanschauung in der Bildungspolitik fest zu verankern und die bewährte Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden […] zu ersetzen.“

Ein einstiges Vorzeige-Bundesland wird in den Abgrund reformiert

Der heutigen Bildungspolitik macht Winterhoff den Vorwurf, dass sie zwar begeisterungsfähig, aber völlig unkritisch den Fantasien von Ideologen aufsitzt und diese mit desaströsen Folgen umsetzt, anstatt sich auf die reichlich vorhandene Empirie aus Praxis und Wissenschaft zu verlassen. So machte Gabriele Warminski-Leitheusser, 2011 – 2013 sozialdemokratische Kultusministerin von Baden-Württemberg, den umstrittenen Schweizer Schulgründer Peter Fratton zu ihrem offiziellen Berater. „Das vormalige Vorzeige-Bundesland verschlechterte sich in der darauffolgenden Zeit dramatisch im Ländervergleich.“ In einer Landtagsanhörung auf seine Experimente angesprochen, meinte Fratton: „Ich habe keine Ahnung, was dabei herauskommt. Aber schön falsch ist auch schön.“ Abgesehen von dieser offensichtlichen Leichtsinnigkeit, tun sich Ideologen schwer damit, Unrecht zuzugeben. Sie und ihre Anhänger in der Bildungspolitik biegen sich die Realitäten zurecht, „bis sie den eigenen Wünschen und Vorstellungen entsprechen.“ Darin erkennt Winterhoff „die Basis der Bildungspolitik seit mindestens zwei Jahrzehnten.“

Gabriele Warminski-Leitheusser, 2011 – 2013 sozialdemokratische Kultusministerin von Baden-Württemberg, die den umstrittenen Schweizer Schulgründer Peter Fratton zu ihrem offiziellen Berater ernannt hat – mit fatalen Folgen für das Bundesland Baden-Württemberg

Grundlegende Störung in der Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern

Die Grundlage der bildungspolitischen Realitätsverweigerung macht Winterhoff in einer grundlegenden Störung in der Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern aus. In der Psychoanalyse nennt sich diese Beziehungsstörung Projektion. Die Anhänger des offenen, selbstorganisierten Unterrichts glauben aufrichtig daran, Kinder zu befreien. Tatsächlich jedoch übertragen hier Erwachsene eigene Wünsche und Gefühle auf das Kind. Sie wollen den Minderjährigen das geben, was sie sich als Kind selber wünschten. Sie wollten keine Hausaufgaben. „Also weg damit!“ „Sie wären gerne während des Unterrichts ein wenig herumspaziert? Also werden Wände eingerissen“, Verweilecken, Lerntheken, Spiel- und Bewegungsräume eingerichtet.

Konsequent in den Lernstillstand

Damit übersehen die Anhänger des offenen, selbstorganisierten Unterrichts die Bedürfnisse der Kinder nach Betreuung und Orientierung. Nur in der Projektion kommt der Erwachsene auf die Idee, „dass seine Rolle darin besteht, alle Wünsche, die er dem Kind zuordnet, umgehend zu erfüllen.“

Bild: AdobeStock

Damit ordnet er sich dem Kind unter, wodurch dieses die Führung übernimmt. „Die eigentliche ‘Bildungsrevolution’ besteht somit im „unnatürlichen Beziehungsverhältnis, in das Kinder und Erwachsene […] gezwungen werden.“ „Denn wenn sich das Kind nicht an Erwachsenen orientieren darf, findet bei ihm definitiv keine Entwicklung seiner Psyche statt. Das […] ist seit vielen Jahrzehnten gesichertes Wissen.“ Was das autonome Lernen betrifft unterscheiden sich Kinder überdies nicht von Erwachsenen: Sie wählen sich zumeist, was sie bereits können, wodurch es auch zu einem Lernstillstand kommt.

„Offener Unterricht lässt Schüler und Lehrer allein. ‘Autonomes Lernen’ bei Kindern gibt es nicht.“ Ohne die Anleitung und Orientierung durch Erwachsene bleiben Kinder lustorientiert. Sie erreichen dadurch weder Beziehungs- noch Arbeitsfähigkeit – mit katastrophalen Folgen für Gesellschaft und Wirtschaft.

The post Für Sie gelesen: „Deutschland verdummt“ first appeared on Condorcet.

]]>
https://condorcet.ch/2019/11/fuer-sie-gelesen-deutschland-verdummt/feed/ 1