Yasemin Dinekli - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Wed, 31 Jan 2024 08:15:29 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Yasemin Dinekli - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Es braucht Lehrer und Lehrerinnen, die eine Leidenschaft fürs Lesen haben https://condorcet.ch/2024/01/es-braucht-lehrer-und-lehrerinnen-die-eine-leidenschaft-fuers-lesen-haben/ https://condorcet.ch/2024/01/es-braucht-lehrer-und-lehrerinnen-die-eine-leidenschaft-fuers-lesen-haben/#comments Tue, 30 Jan 2024 16:39:48 +0000 https://condorcet.ch/?p=15832

Die Veröffentlichung der PISA-Resultate, die – wieder einmal – offengelegt hat, dass rund ein Viertel unserer Schülerinnen und Schüler nach der obligatorischen Schulzeit einfachste Texte nicht verstehen kann, also als Illetristen die Schule verlassen, hat eine Flut von Artikeln und Kommentaren ausgelöst. Gefragt sind dabei vor allem Einschätzungen von Bildungsforschern, Journalistinnen, PH-Dozenten oder Verbandsfunktionären. Höchste Zeit, einmal eine Person aus der Praxis zu Worte kommen zu lassen. Yasemin Dinekli, Redaktionsmitglied und Präsidentin des Condorcet-Trägervereins, hat sich mit der ehemaligen Schulleiterin aus Biel, Ruth Wiederkehr, unterhalten. Ruth Wiederkehr arbeitete bis letzten Sommer im Oberstufenzentrum Mett-Bözingen in Biel. In dieser Schule sitzen Real- und Sekundarschüler und Schülerinnen ausser in den Niveau-Fächern in derselben Klasse. Im Deutschunterricht bleiben sie zusammen.

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Yasemin Dinekli, Mittelschullehrerin, Präsidentin des Trägervereins des Condorcet-Blogs, stellte die Fragen.
Ruth Wiederkehr, Schulleiterin bis letzten Sommer 2023: Es ist ein Knochenjob.

Condorcet

Frau Wiederkehr, wie interpretieren Sie die letzten PISA-Resultate?

Ich denke, sie bilden die Realität ab. Ein Viertel der Schülerinnen und Schüler ist nach 8 Schuljahren nicht in der Lage einen einfachen Text zu verstehen, darunter auch  Sekundarschüler oder Schülerinnen.

Und was ist Ihrer Meinung nach die Ursache?

Es gibt nicht die Ursache. Die Situation ist komplex. Bereits die erste Pisa Studie von 2001 zeigte, dass die Schulen in Sachen Leseverstehen etwas ändern müssen.

Und wie habt ihr als Schule darauf reagiert?

Wir begannen kurz nach der ersten Pisa-Studie mit der Unterstützung von zwei Lese-Spezialistinnen, die ich anlässlich einer Weiterbildung kennengelernt hatte, am Thema Leseverstehen zu arbeiten. Zu Beginn waren das einzelne Projekte, die wir mit der ganzen Schule durchführten. Dazu gehörten auch Diskussionsrunden über gelesene Jugendbücher innerhalb des Kollegiums. Die zwei Lese-Spezialistinnen führten mehrere Fortbildungen mit dem ganzen Kollegium durch, also nicht nur mit den Deutschlehrpersonen. Später stellten wir sie dann im Rahmen der Lektionen im Angebot der Schule für einige Lektionen fest an. Sie erarbeiteten unser Lese-Konzept, das wir im Laufe der Jahre immer weiterentwickelten.

Gibt es neben der Weiterbildung und der Erarbeitung eines Lesekonzeptes weitere wichtige Voraussetzungen, die eine Verbesserung der Lesekompetenzen der Jugendlichen fördern?

Zunächst einmal braucht es Deutschlehrpersonen, die Leser und Leserinnen sind, also eine Leidenschaft fürs Lesen haben, so dass sie ihre Begeisterung weitergeben können. Sie müssen auch bereit sein, immer wieder neue Jugendbücher zu lesen, so dass sie selber auf dem neusten Stand sind, was Kinder- und Jugendbücher angeht.

Und die hattet ihr?

Ich denke ja. Die gemeinsame Arbeit mit den zwei Lese-Spezialistinnen half sicher viel. Wir suchten immer wieder nach spannenden, interessanten Texten, Kurzgeschichten, Büchern, Gedichten, die die jungen Leute packen, mit denen sie sich identifizieren können. Dabei haben uns die zwei Lese-Spezialistinnen während vieler Jahre sehr unterstützt, indem sie uns informierten, uns auf gute und geeignete Bücher hinwiesen, für uns Projekte entwickelten.

Es muss den Lehrpersonen der Oberstufe bewusst sein, dass es in jeder Klasse solche Jugendlichen hat und dass sie im Laufe der ersten 6 Schuljahre gelernt haben, ihr Problem zu kaschieren.

Das leuchtet mir ein, ist aber meiner Meinung nach noch keine Garantie, dass am Ende der Schulzeit 25% der Schülerinnen und Schüler immer noch nicht richtig lesen und schreiben können.

Das ist ein sehr wichtiger Hinweis. Vor 20 Jahren war es der Schulleitung und den Lehrpersonen noch nicht bewusst, dass wir in der 7. Klasse mehrere Schülerinnen und Schüler haben, die zu dieser Gruppe gehören. Oft entdeckten wir das Problem, wenn überhaupt, erst Mitte der 8. oder sogar erst in der 9. Klasse. Es muss den Lehrpersonen der Oberstufe bewusst sein, dass es in jeder Klasse solche Jugendlichen hat und dass sie im Laufe der ersten 6 Schuljahre gelernt haben, ihr Problem zu kaschieren. Wir begannen mit Hilfe von Lesescreenings, Antolin oder anderen offiziellen Tests, uns einen Überblick über die Lesefertigkeit, d.h. das Leseverstehen der Schülerinnen und Schüler zu verschaffen. Nur so kann gezielt mit den Leseschwachen gearbeitet werden.

Aber dann muss sich ja eine Lehrperson auf genau diese Jugendlichen konzentrieren, wie soll sie das mit einer Klasse von 20 und mehr schaffen?

Stimmt, das geht nicht. Um gezielt mit den Leseschwachen an ihren Defiziten arbeiten zu können, ist es unabdingbar, dass zwei Lehrpersonen während des Deutschunterrichts in der Klasse sind. Sie müssen beide die Schülerinnen und Schüler und ihre Stärken und Schwächen kennen.

Mit Vorteil befasst sich eine der Lehrpersonen regelmässig während zwei Wochenlektionen mit den leseschwachen SuS und arbeitet in kleinen Gruppen am Leseverstehen.

Also Teamteaching?

Ja, ein Teamteaching, in dem beide Lehrpersonen eingebunden sind, sich mit ihrer Arbeit identifizieren und sich zu gleichen Teilen einsetzen!

Mit Vorteil befasst sich eine der Lehrpersonen regelmässig während zwei Wochenlektionen mit den Leseschwachen und arbeitet in kleinen Gruppen am Leseverstehen. Die Lehrperson muss wissen, dass Vorlesen und Leseverstehen zwei unterschiedliche Kompetenzen sind. Diese Gruppe arbeitet mit Texten und Büchern, die ihren Lesefähigkeiten und ihrem Alter entsprechen. Der Weg geht von einfachen zu anspruchsvolleren Texten. Die andere Lehrperson kann in dieser Zeit z.B. mit dem Rest der Klasse an einer Klassenlektüre arbeiten. Sie muss ein für diese Klasse passendes Jugendbuch zur Hand haben.

Gibt es noch etwas, was Sie als wichtig erachten?

Es hilft sehr, wenn die Schülerinen und Schüler regelmässig, am besten wöchentlich, kurze Texte schreiben, Tagebucheinträge, Texte zu vorgegebenen Themen etc. Die Texte müssen sofort von den Lehrpersonen korrigiert und zurückgegeben werden. Auch das schafft eine einzelne Lehrperson nicht. Die Jugendlichen müssen ihre Texte korrigiert und überarbeitet ins Reine schreiben und zusammen mit dem neuen Text wiederum abgeben. Damit dies funktioniert, ist es von Vorteil, dass vor dem Abgabetermin eine Aufgaben- oder SOL-Lektion stattfindet, so dass die Lehrpersonen immer alle Texte zum vorgegebenen Termin erhalten. So wird nicht nur das Schreiben, Festhalten von eigenen Gedanken etc. verbessert, sondern nebenbei auch die Rechtschreibung.

Das ist ein enormer Aufwand

In der Tat, es ist Knochenarbeit, aber sie bringt etwas. Nichts ist so wirksam wie der Erfolg.

Das Lesekonzept muss sich über den gesamten Zyklus erstrecken und die Termine müssen für alle verbindlich sein.

Und noch eine Frage: Verfügt Ihre Schule über eine eigene Bibliothek?

Ja, und zwar über eine, die auf dem neusten Stand ist. Wir kaufen ungefähr dreimal pro Jahr neue Jugendbücher und es finden regelmässig Lektionen in der Bibliothek statt. Die Lernenden können selbständig Bücher auswählen, d.h., sie wissen, wie sie Bücher, die sie persönlich interessieren, in der Bibliothek finden: Cover, Klappentexte lesen, Rückseite lesen, Seite 99 lesen. Gefällt ein Buch nicht, wird es sofort zurückgebracht und ein neues ausgewählt. Die Lehrperson muss die Schülerinnen und Schüler beraten können. Ferienlektüren sind Pflicht. Klassen- oder Gruppengespräche zu Büchern und Texten finden immer wieder in der Bibliothek statt.

Wir kaufen ungefähr dreimal pro Jahr neue Jugendbücher und es finden regelmässig Lektionen in der Bibliothek statt.

Und da machen wirklich alle Deutschlehrpersonen engagiert mit?

Es braucht immer wieder Überzeugungsarbeit und jährlich mindestens eine gemeinsame Sitzung mit jedem Jahrgangsteam Deutsch, die die oder der Verantwortliche für das Lesekonzept leitet. Hier geht es auch um Anpassungen, Mitsprache, Rückmeldungen, Einbinden der neuen Lehrpersonen. Die Schulleitung muss voll hinter dem Konzept stehen und dafür sorgen, dass es weitergeführt wird, sonst funktioniert es nicht. Am besten ist es natürlich, wenn ein Schulleitungsmitglied selber Deutschlehrperson ist und auch noch unterrichtet. Und noch etwas Wichtiges: Das Lesekonzept muss sich über den gesamten Zyklus erstrecken und die Termine müssen für alle verbindlich sein.

Wie bei den Schülerinnen und Schülern ist es auch bei den Lehrpersonen, es sind nicht immer alle gleich gut drauf oder haben manchmal andere Prioritäten.

Gab oder gibt es keinen Widerstand aus dem Kollegium?

Nicht so direkt. Natürlich hat es Lehrpersonen, die nicht immer alles ganz genau so wie vorgesehen durchführen. Aber das gehört dazu, da muss man manchmal auch wegsehen können. Wie bei den Schülerinnen und Schülern ist es auch bei den Lehrpersonen, es sind nicht immer alle gleich gut drauf oder haben manchmal andere Prioritäten. Sie müssen aber schon wissen, was sie mindestens erfüllen müssen.

Gibt es weitere Kernpunkte in eurem Konzept?

Wir führen jedes Jahr mit der ganzen Schule einen Lesewettbewerb durch, den man als Klasse bestehen muss. In der 8. und in der 9. Klasse finden literarische Gespräche statt, die Jugendlichen führen ab der 7. Klasse ein Lesejournal, wir lesen ihnen auch Bücher vor etc. Ab und zu organisieren wir Dichterlesungen oder Literaturnächte oder es lasen zu bestimmten Zeitpunkten alle Lehrpersonen während ihres Unterrichts einen Abschnitt aus ihrem gegenwärtigen Lieblingsbuch vor, was auch zu interessanten Diskussionen und Gesprächen mit den Klassen führte. Das zeigte auch allen, dass die Lehrpersonen selber Lesende sind.

Da sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt.

Ob wir mit unserem Lesekonzept Erfolg haben? Mindestens die Zahlen sagen ja. Aus den 63% schwachen oder unterdurchschnittlichen Leseleistungen wurden Ende der 9. Klasse noch 28,7%, jedoch nur noch 4.5% davon waren schwach.

Und? Habt ihr Erfolg? Überprüft ihr das?

Ende des 9. Schuljahres führen wir nochmals mit allen ein Lesescreening durch. Und da sieht man jeweils die Fortschritte. Ich erhielt von den Lehrpersonen die Resultate ihrer Klasse und hielt das Ganze in einer Tabelle fest. Da sieht man übrigens auch, dass sich in den letzten Jahren die Lesekompetenz der neuen Siebtklässler kontinuierlich verschlechtert hat, d.h. Schülerinnen und Schüler mit schwachen und unterdurchschnittlichen Leistungen nahmen von Jahr zu Jahr zu. So waren im Jahr 2020 63.5 % aller Schülerinnen und Schüler der neuen siebten Klassen schwach oder unterdurchschnittlich und drei Jahre später waren es bereits 72 %.

Ob wir mit unserem Lesekonzept Erfolg haben? Mindestens die Zahlen sagen ja. Aus den 63% schwachen oder unterdurchschnittlichen Leseleistungen wurden Ende der 9. Klasse noch 28,7%, jedoch nur noch 4.5% davon waren schwach.

Wie steht es übrigens mit der «verpönten» Grammatik und der Rechtschreibung? Wie sehen Sie deren Bedeutung?

Die Arbeit daran darf nicht vergessen werden. Solide grammatikalische Kenntnisse helfen den Schülerinnen und Schülern, vor allem den fremdsprachigen, ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. Auch Diktate ergeben gegenwärtig wieder Sinn. Und noch etwas: Das vielkritisierte «Wörter Lernen» in den Fremdsprachen hilft, und zwar nicht nur den fremdsprachigen Kindern, den Wortschatz zu erweitern.

Was erachten Sie eher als nicht wirkungsvoll?

Texte schreiben hilft. Aber sie müssen sofort korrigiert und ins Reine geschrieben werden.

Ich beobachtete immer wieder, wie Lehrpersonen in ihren Klassen vorfabrizierte Lese-Verstehen-Tests durchführten. Ich denke, dass man damit vor allem das Vorwissen der Einzelnen überprüft, doch dass damit keine Verbesserung der Lesekompetenz stattfindet.

Gibt es noch etwas, was Sie an dieser Stelle sagen möchten?

Ja, dass es sehr wichtig ist, dass sich Lehrpersonen für ihre Schüler und Schülerinnen interessieren, bei den vorherigen Lehrpersonen nachfragen, den Problemen wirklich auf den Grund gehen. Je mehr Erfolg die Jugendlichen haben, desto mehr Freude entwickeln sie. Es ist zum Teil wirklich wie bei Knospen, die aufgehen. Einer von meinen ehemalig sehr schwachen Lesern hat letzthin das Anwalt Patent bestanden.

Die umfangreiche Beschreibung unseres Lesekonzepts für die Oberstufe finden Sie übrigens auf der Homepage des OSZ Mett-Bözingen in Biel (www.OSZMB.ch) unter der Rubrik «Leseförderung», dann «Lesekick». Hier finden Sie alle Unterlagen und können sich bei Fragen an die Schulleitung wenden.

Ich danke Ihnen für das Gespräch

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Wer hätte das gedacht! https://condorcet.ch/2023/05/wer-haette-das-gedacht/ https://condorcet.ch/2023/05/wer-haette-das-gedacht/#respond Fri, 19 May 2023 06:08:54 +0000 https://condorcet.ch/?p=14026

Heute vor vier Jahren, am 18. Mai 2019, wurde der Condorcet-Blog von Professoren, Lehrkräften, Publizistinnen und Bildungsinteressierten in Bern gegründet. Ein kleines Selbstlob!

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Yasemin Dinekli, Mittelschullehrerin in Zürich, Condorcet-Autorin und Präsidentin des Trägervereins: Drei wagemutige Entscheide

Wohl kaum einer der Gründer des Condorcet-Blogs hätte wohl erwartet, dass der Blog in vier Jahren so prosperieren sollte. Geplant als «Lagerfeuernische des kritischen Diskurses» mit einem Startkapital von 24’000 Fr. hat sich unsere Webseite zu einer vielbeachteten und oft zitierten Bildungsplattform entwickelt, wo man auch Beiträge lesen kann, die sich nicht unbedingt in den allgemein akzeptierten Bildungsduktus einfügen. Die Gründermütter und -väter trafen im Vorfeld drei wegweisende Entscheide.

  1. Wir widmeten unseren Blog dem Philosophenpaar Jean-Marie de Condorcet und seiner Frau Sophie de Condorcet. Diese bedeutenden, aber im deutschen Sprachraum weithin unbekannten Persönlichkeiten symbolisieren unsere Ziele: einen liberalen, demokratischen Diskurs anzustreben, sich für eine gute Bildung für alle einzusetzen und divergente Meinungen zuzulassen.
  2. Unsere Redaktion und auch die Autorenschaft wird von linken, liberalen und rechtskonservativen Persönlichkeiten getragen, die sich zuhören, die miteinander streiten und die sich für eine gute Bildung für alle einsetzen.
  3. Der BiIdungsblog soll alle Beteiligten des Bildungssystems in den Diskurs einbeziehen. Der Professor diskutiert mit der Kindergärtnerin, die Sekundarlehrerin mit dem Bildungspolitiker, der Schüler mit der Primarlehrerin und die Eltern mit dem Bildungsforscher.

    Bilder aus dem Gründungstreffen: Alain Pichard
Bernard Schneuwly

Allan Guggenbühl

So lesen wir neben ausserordentlich komplexen Fachartikeln auch pointierte Meinungen, humoristische Einlagen und unterhaltsame Anekdoten.

Wir sind vernetzt mit den Starken Schulen im Lande, mit dem Diane Ravitch-Blog in den USA und mit der Gesellschaft für Bildung und Wissen. Mittlerweilen schreiben über 50 Autorinnen und Autoren für unseren Blog.

Jeden Tag klicken zwischen 200 bis 800 User unsere Webseite an, sehr oft wird er auch in den Medien zitiert. So löste er auch politische Wendungen aus, wie z. B. die Entlastung der Klassenlehrkräfte oder die Überprüfung des Frühfranzösisch.

Alles also in bester Ordnung? Beileibe nicht! Zu wenig junge Lehrkräfte, immer noch zu wenig Frauen und eine permanente Überlastung der Redaktion. Sie sind herzlich eingeladen mitzuwirken!

Was erwartet uns? Im Sommer planen wir einen tüchtigen Ausbau mit vielen Neuerungen. Lassen Sie sich überraschen!

Für die Redaktion und den Trägerverein

Yasemin Dinekli

 

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1000 Artikel: Stolz sein – aber nicht stehen bleiben https://condorcet.ch/2022/12/1000-artikel-stolz-sein-aber-nicht-stehen-bleiben/ https://condorcet.ch/2022/12/1000-artikel-stolz-sein-aber-nicht-stehen-bleiben/#respond Sun, 04 Dec 2022 13:57:13 +0000 https://condorcet.ch/?p=12519

1000 Beiträge und noch kein bisschen müde! Yasemin Dinkeli, Präsidentin unseres Trägervereins, dankt allen Autorinnen und Autoren, Leserinnen und Lesern für dreieinhalb Jahre gepflegten Einspruchs.

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Prof. Wolfgang Kühnel, Stuttgart: Jubilar

Liebe Leserinnen und Leser des Condorcet-Blogs

Wer hätte das gedacht. Als wir vor dreienhalb Jahren den Bildungsblog mit einem Startkapital von 25’000 Fr gründeten, wussten wir noch nicht, wohin die Reise geht. Und unter uns, wir wissen es immer noch nicht so richtig. Aber wohl kaum jemand hätte geahnt, dass wir bereits nach dieser relativ kurzen Zeit unseren 1000sten Beitrag veröffentlichen würden. Und das noch mit diesem kuriosen, in der Deutschschweiz völlig unbekannten Namen Condorcet. Vielen Dank, Georg Geiger und Alain Pichard, dass ihr euch damals durchgesetzt habt! Und nun, nach dreieinhalb Jahren seriöser Hintergrundartikel, historischer Bildungsbeiträge, spitzer Kommentare, wunderbarer Praxisinputs und witziger Einwürfe stehen wir an einem Ort, den uns nur wenige zugetraut haben. Dass dieser 1000ste Beitrag von einem Mathematiker, Professor Wolfgang Kühnel, geschrieben wurde, ist symbolisch. War doch auch unser grosses Vorbild Jean-Marie der Condorcet ein bedeutender Mathematiker.

Der Condorcet-Blog hat im letzten Jahr einen beachtlichen Sprung gemacht und konnte seine Leserinnen- und Leserzahlen gewaltig steigern. Zwischen 200 und 800 Personen klicken ihn derzeit täglich an. Er hat letztes Jahr den Peter-Hans-Frey-Preis für pädagogische Innovation gewonnen und wird auch in den Medien immer häufiger zitiert. Wir erhalten immer mehr Beiträge und haben neben der Sekretärin Marianne Wermuth mit Moira Wiederkehr eine weitere Mitarbeiterin einstellen können, die uns hilft, die eingehenden Artikel auf unsere Webseite aufzuschalten.

Der Blog wird nach wie vor von linken, liberalen und konservativen Persönlichkeiten betrieben und ist bemüht, einen kritischen und konstruktiven Beitrag zur aktuellen Bildungsdebatte zu leisten. Unser Blog wird von über 50 Autorinnen und –autoren gestaltet und von einer Redaktion geführt. Am Anfang stand der Zweifel. Die Autorinnen und Autoren hinterfragten die vielen Reformen in der heutigen Bildungspolitik und begannen, die Widersprüche und Fehlschläge zu dokumentieren und aufzuarbeiten. In vielen Fragen zeigt sich heute, dass wir recht hatten, in anderen Bereichen mussten auch wir uns korrigieren.

In diesen Tagen werden wir unseren Spendenbrief verschicken. Ihre Spende fällt auf einen guten Boden. Finanzieren Sie weiterhin den Zweifel, den Einspruch und unseren Einsatz für eine gute Bildung für alle.

Mit freundlichen Grüssen

Yasemin Dinekli

Condorcet-Autorin, Mitglied der Redaktion und Präsidentin des Trägervereins

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Nach dem Shitstorm gegen Condorcet-Autor Alain Pichard: Ich bin kein Impfgegner https://condorcet.ch/2021/02/nach-dem-shitstorm-gegen-condorcet-autor-alain-pichard-ich-bin-kein-impfgegner/ https://condorcet.ch/2021/02/nach-dem-shitstorm-gegen-condorcet-autor-alain-pichard-ich-bin-kein-impfgegner/#comments Fri, 05 Feb 2021 12:17:11 +0000 https://condorcet.ch/?p=7646

Am 24. Januar kritisierte Condorcet-Autor Alain Pichard in der Sonntagszeitung die Forderung der Lehrkräfte, bei den anstehenden Impfungen priorisiert zu werden. Er erntete daraufhin einen Shitstorm. Auch innerhalb des Blogs gab es vereinzelte Kritik. Yasemin Dinekli, Präsidentin des Trägervereins und Mitglied der Redaktion dieses Blogs, stellte daraufhin ihren Kollegen zur Rede.

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Yasemin Dinekli, Mittelschullehrerin, Präsidentin des Trägervereins des Condorcet-Blogs
Alain Pichard, Lehrer Sekundarstufe 1, Orpund (BE): Bin kein Impfgegner

Condorcet

Alain, du hast mit deiner Kritik an der Forderung einer Priorisierung der LehrerInnen bei der anstehenden Impfkampagne in der Sonntagszeitung vom 24.1. viel Kritik geerntet. Vor allem deine Aussage von den «jammernden Lehrern» wurde als sehr pauschalisierend empfunden.

Das Wort «Kritik» ist verniedlichend. Es war ein regelrechter «Shitstorm», der sich über mich entlud.

Eine schwarmorientierte LeserInnenschaft?

Du hast dich ja auch nicht gerade zurückhaltend geäussert.

Dazu muss ich Dinge vorausschicken. Die Journalistin bat mich um ein Statement, das ich auch genau in diesen Worten lieferte. Ich ahnte allerdings nicht, dass ich danach so prominent und mit Bild in Szene gesetzt werde. Ich dachte, es handle sich um einen Artikel, in welchem meine Meinung unter vielen anderen zitiert würde.

Ich bin weder ein Corona-Verharmloser noch ein Maskenverweigerer und schon gar kein Impfgegner.

Ein wenig naiv, man kennt dich eben und du polarisierst …

Das kann schon sein. Dennoch möchte ich hier gerne betonen: Ich bin weder ein Corona-Verharmloser noch ein Maskenverweigerer und schon gar kein Impfgegner.

Aber als ehemaliger Gewerkschafter müssen dir doch sichere Arbeitsbedingungen wichtig sein.

Das sind sie doch. Ich habe immer gesagt: Risikopersonen müssen wir schützen. Vulnerable Lehrpersonen können und sollen sich vom Unterricht dispensieren lassen.

Der Tagi hat sich in den vergangenen Monaten mit seiner Berichterstattung eine ängstliche und schwarmorientierte Gemeinde erarbeitet, die auf alle Erregungsvorschläge reagiert.

Wie erklärst du dir die Wut und den Hass, der dir aus diesen Kommentarspalten entgegengeschlagen ist?

Viel Wut und Hass

Es zeigt den gegenwärtigen Zustand der Tamedia-LeserInnen.  Der Tagi hat sich in den vergangenen Monaten mit seiner Berichterstattung eine ängstliche und schwarmorientierte Gemeinde erarbeitet, die auf alle Erregungsvorschläge reagiert.

Machst du es dir jetzt nicht etwas einfach? Du wurdest auch innerhalb unseres Blogs kritisiert.

Das stimmt und ist auch kein Problem. Wir sind ein Diskursblog. Und der an mich gerichtete Vorwurf der Pauschalisierung trifft ja irgendwie auch zu. Aber ich muss betonen, es war ein Zitat, kein Beitrag.

Ein anderer Vorwurf war, dass du dich immer prominent in Szene zu setzen weisst.

Eine Dagmar Rösler, Präsidentin des LCH, kommt fast wöchentlich zur Ehre, sich zu äussern. Bei mir waren es in einem Jahr drei Auftritte. Aber bei den Leserinnen und Lesern der Tamediaprodukte werden alle gegensätzlichen Meinungen beinahe hysterisch kommentiert. Es verträgt nichts.

Frau Rösler repräsentiert immerhin einen Verband.

Genau, die Relationen sind gewahrt! Und damit ist auch der Vorwurf der Pauschalisierung relativiert. Eine Verbandspräsidentin spricht für die Lehrkräfte dieses Landes. Obwohl bei besagter Umfrage nur etwa ein Drittel der Lehrkräfte sich dahingehend geäussert haben sollen, dass sie bei den Impfungen priorisiert behandelt werden wollten.

Warum wehrst du dich gegen die Schulschliessungen?

Ich wehre mich nicht dagegen. Aber ich weise darauf hin, dass die Folgen gerade für die Kinder der unterprivilegierten Schichten gravierend sind. Auf der Ebene Gymnasium oder Berufsschulen ist ein Fernunterricht, wenn er denn auch gut ist, kein Weltuntergang. Aber auf der Primarstufe und auch auf Stufe Sek 1 hat er schwerwiegende Konsequenzen in vielerlei Hinsicht. Das sollte man bei allen Entscheidungen mitberücksichtigen.

Eine Kollegin schrieb in unserem Blog: Lieber mal einige Wochen die Schule schliessen, um dann wieder normal zu unterrichten.

Wenn das so einfach wäre! In unserem Blog haben wir sieben wissenschaftliche Studien dazu zitiert, welche sich mit der Wirkung von Schulschliessungen beschäftigen. Drei sahen grosse Effekte, vier keine. Ich sehe zurzeit keine Evidenz, bin aber aufgeschlossen, wenn man mir diese zeigt. Wie hat es der Fernsehphilosoph Precht einmal gesagt: «Ein Staatsbürger darf motzen, muss aber funktionieren!»

Und was heisst das, funktionieren?

Dass ich mich an Behördenweisungen halte, so lange diese gesetzes- und verfassungskonform sind. Konkret trage ich die Maske im Unterricht und schaue, dass es auch die SchülerInnen machen.

Warum kritisierst du die Forderung der LehrerInnenverbände, dass man die Lehrkräfte bei den Impfungen bevorzugt behandeln soll?

Diese Forderung ist nur noch peinlich

Das war ja auch meine eigentliche Kernaussage in der Sonntagszeitung. Und hier erhielt ich von vielen Lehrkräften sehr viel Zustimmung. 95% aller Impfdosen werden zurzeit in den zehn reichsten Ländern der Welt verabreicht, und da fordert ein Verband in einem der reichsten Länder der Welt auch noch, dass man seinen Berufsstand (100’000 Personen) bevorzugt impfen sollte. Der gleiche Verband, der sich während der Lehrplandebatte für die Kompetenzziele «Solidarität mit der 3. Welt, kritisches Konsumverhalten» eingesetzt hatte. Es ist unglaublich. Was ist mit den VerkäuferInnen, mit den BusfahrerInnen, mit den PolizistInnen? Wenn die Angst regiert, gehen alle hehren Prinzipien der Sonntagspredigten über Bord. In meinem Bekanntenkreis schüttelte man nur den Kopf.

Wie meinst du das mit den hehren Prinzipien, die über Bord gehen?

Ich muss schon etwas schmunzeln, wie plötzlich alle ehemaligen ImpfgegnerInnen mit fliegenden Fahnen zu Impfbeschwörern werden. Oder wie ehemalige Kritiker der Gentechnologie, vor allem auch eigene Parteimitglieder (Alain Pichard ist Mitglied der GLP), die einst die Moratoriumsinitiative unterstützt haben, nun eine Impfung erbetteln, die auf Gentechnologie in Reinkultur beruht.

Es gibt genug Klugscheisser.

Reelle Gefahr: Es gibt genug Klugscheisser

Wie stehst du grundsätzlich zu dieser Pandemie? Für wie gefährlich hältst du sie?

Ich bin zwar Biologielehrer, werde mich aber hüten, dazu etwas zu sagen. Ich weiss es nicht. Und wir hier im Blog äussern uns grundsätzlich nicht zu dieser Frage, weil wir nicht vom Fach sind. Es gibt genug Klugscheisser in den Medien. Wenn ich aber sehe, wie kritische Studien eines Hochkaräters wie Professor Ioannadis (Stanford) einfach totgeschwiegen oder per Ferndiagnose für falsch erklärt werden, wenn ich sehe, wie mit kritischen Stimmen verfahren wird, dann werde ich immer misstrauisch.

Du könntest ja bereits in Pension sein, bist letztes Jahr 65 geworden. Nun hast du noch ein zusätzliches Jahr drangehängt. Eigentlich gehörst du auch zu den Risikopersonen.

Ich empfinde mich nicht so. Und wenn ich sehe, was meine Tochter als Oberärztin in der Intensivabteilung des Insel-Spitals mit ihren PflegerInnen zurzeit leistet, bin ich der Meinung, dass nun auch die Lehrkräfte ihren Teil beitragen sollten. Fünf meiner Arbeitskollegen haben diese Krankheit übrigens bereits überstanden. Dazu 35 in meinem Freundeskreis, auch drei unserer Kinder. Keiner musste hospitalisiert werden, bei den meisten verlief die Krankheit relativ locker. Das fliesst auch in meine persönliche Risikoabwägung.

Aber es kann auch jüngere Menschen schwer treffen.

Das ist zweifelsohne so. Meine Tochter hat mir dies eindrücklich geschildert.

Und, keine Angst?

Nein, aber das ist meine persönliche Haltung.

Keiner meiner nahen Blutsverwandten erreichte das 80ste Lebensjahr.

Mit dieser Aussage nimmst du ja doch noch Stellung. Man kann es als Verharmlosung verstehen.

Mein persönliches Bekenntnis, keine Angst vor dem Corona-Virus zu haben, wurde mir von vielen unbekannten Tamedia-LeserInnen sehr übelgenommen, obwohl ich betont habe, dass der Nichtängstliche gegenüber dem Ängstlichen Rücksicht nehmen muss. Eine Kommentatorin hat mir daraufhin den Virus samt Intubation mit vielen Schläuchen gewünscht. Meine «Nicht-Angst» entspringt keiner Grossmäuligkeit und hat eher mit meiner Biografie zu tun. Mein Vater starb mit 70 Jahren, meine Mutter mit 75, meine nie gekannte Grossmutter bereits mit 36 Jahren, meine Grossväter beide mit 72 Jahren. Keine meiner nahen Blutsverwandten erreicht das 80ste Lebensjahr. Sie starben alle am gleichen Leiden: Krebs im Magen-Darmbereich. Jährlich sterben 16’000 Menschen in unserem Land an Krebs, und dass es in unserer Familie hier eine genetische Veranlagung dafür gibt, habe ich mir schon früh eingestehen müssen. Ausserdem verlor ich zwei meiner besten Freunde an dem HIV-Virus. Beide starben in der Blüte ihres Lebens. Und ich stand während meiner 43-jährigen Berufslaufbahn bei vier meiner Schülerinnen und Schülern am Grabe und erlebte die Beerdigungen von 14 Ex-Schülerinnen und -Schülern: Suizide, Drogen, tödliche Unfälle und natürlich – immer wieder – der Krebs. Das macht demütig gegenüber dem Ende des Lebens.

Lässt du dich impfen?

Natürlich, ich habe mich ab und zu auch gegen die Grippe impfen lassen. Aber jetzt sollen erst einmal alle geimpft werden, die es nötig haben.

 

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P R O & K O N T R A: Kompetenzorientierung auch am Gymnasium? https://condorcet.ch/2020/10/p-r-o-k-o-n-t-r-a-kompetenzorientierung-auch-am-gymnasium-2/ https://condorcet.ch/2020/10/p-r-o-k-o-n-t-r-a-kompetenzorientierung-auch-am-gymnasium-2/#respond Mon, 05 Oct 2020 19:26:38 +0000 https://condorcet.ch/?p=6593

Yasemin Dinekli legt in ihrem Beitrag dar, weshalb die Gymnasien auf die Kompetenzorientierung als zentrale Bildungsleitidee verzichten sollten. Schade, dass der Klett-Verlag es seinen Leserinnen und Lesern nicht zumuten wollte, die Argumente in beiden Diskursbeiträgen zu prüfen und sich selbst eine Meinung zu bilden.

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Contra: Fachwissen wird abgewertet und nimmt nur noch eine exemplarische Rolle ein.

Yasemin Dinekli, Mittelschullehrerin, Präsidentin des Trägervereins des Condorcet-Blogs

Ein Seitenblick auf Deutschlands Gymnasien, die nach einem Beschluss der Kultusministerkonferenz 2004 ihre Curricula auf das neuartige Kompetenzmodell ausgerichtet haben, dürfte weiterhelfen bei der Entscheidung, ob sich auch die gymnasialen Lehrpläne der Schweiz an Kompetenzen orientieren sollen. Die Erfahrungen sind ernüchternd. Welche Auswirkungen die Umstellung auf Kompetenzen in Ausrichtung auf Bildungsstandards mit sich bringt, stellte Hans Peter Klein, Professor für Biologiedidaktik, 2016 in seinem Buch «Vom Streifenhörnchen zum Nadelstreifen» dar. Die Streifenhörnchen waren Thema einer Biologieaufgabe aus dem Zentralabitur Nordrhein-Westfalens, das die Prüfungsaufgaben gemäss den Lehrplänen folgerichtig an Kompetenzen orientierte. Massive Zweifel von Gymnasiallehrpersonen, ob mit den Aufgaben gymnasiales Niveau erreicht worden sei, führten zum Experiment, die gleichen Aufgaben einer 9. Klasse vorzulegen – und zwar ohne vorbereitenden Biologieunterricht. Man staunte nicht schlecht, als von 27 Prüflingen nur vier eine ungenügende Note erreichten, der Rest schaffte eine genügende bis sehr gute Leistung. Den 14-Jährigen ist also ganz ohne Fachwissen «in einem kreativen Akt» gelungen, ihre «Ressourcen» zu mobilisieren und zu kombinieren. Das wundert nicht: Die Informationen waren schliesslich den beiliegenden Texten und Grafiken zu entnehmen, was lediglich Lesekompetenz erforderte. Dieses Beispiel und etliche weitere, die bereits 2017 an

Prof. Hans-Peter Klein: Kompetenzorientierte Abituraufgaben können von 14-Jährigen ohne Vorbildung gelöst werden.

der «1. (In-)Kompetenzkonferenz» in Frankfurt am Main von namhaften Hochschullehrenden verschiedener Fakultäten einer kritischen Analyse unterzogen wurden (Zusammenfassung nachzulesen im GH 5/17, S. 29 f.), zeigen, dass die Kompetenzorientierung, anders als behauptet, eben doch eine massive Veränderung darstellt: Fachwissen wird abgewertet und nimmt nur noch eine exemplarische Rolle ein, indem es den Kompetenzen unterzuordnen ist. Im Lehrplan 21 werden Inhalte daher, wenn überhaupt, nur als Möglichkeiten genannt.

Bislang werden in den gymnasialen Rahmenlehrplänen Grundkompetenzen – ganz im Sinne Klafkis – von den Stofflehrplänen getrennt aufgeführt. Die Lehrpersonen haben bis heute kraft ihrer fachlichen Ausbildung die Freiheit zu entscheiden, welche Grundkompetenzen anhand welcher Inhalte aufgebaut werden. Und das sollte bitte auch so bleiben, denn die Entscheidung darüber resultiert aus der Eigenart und Wesenhaftigkeit des jeweiligen Sachgebiets.

Es bestünde also gar kein Handlungsbedarf, wenn nicht seit PISA (2000) mit der Kompetenzorientierung und Standardisierung gleichzeitig der Anspruch einer steuer- und messbaren Output-Orientierung verbunden wäre (vgl. die ausführliche Analyse von Walter Herzog: Bildungsstandards, 2013).

Persönlichkeitsbildende Fähigkeiten zu fördern, die es für die Studierfähigkeit, für das Mittun in einer Gemeinschaft, in einem demokratischen Staatswesen und als Weltbürgerin oder Weltbürger braucht, das gehört ja zum Kerngeschäft jedes und jeder pädagogisch Tätigen. Es bestünde also gar kein Handlungsbedarf, wenn nicht seit PISA (2000) mit der Kompetenzorientierung und Standardisierung gleichzeitig der Anspruch einer steuer- und messbaren Output-Orientierung verbunden wäre (vgl. die ausführliche Analyse von Walter Herzog: Bildungsstandards, 2013).

Die teuren, an schwammigen Kompetenzen orientierten Französischlehrwerke verlieren sich in einer Modularisierung des Stoffes, vermitteln Grammatik in einer atomisierten Form, verzichten auf eine Systematik vom Einfachen zum Schwierigen sowie auf Festigung.

Dass wir in der Schweiz von den deutschen Zuständen der Entleerung der Bildungsinhalte nicht weit entfernt sind, offenbart das «Passepartout»-Debakel. Die teuren, an schwammigen Kompetenzen orientierten Französischlehrwerke verlieren sich in einer Modularisierung des Stoffes, vermitteln Grammatik in einer atomisierten Form, verzichten auf eine Systematik vom Einfachen zum Schwierigen sowie auf Festigung.

Die Baselbieter Englisch- und Französischlehrkräfte haben nun im Nachgang sogar erwirkt, dass dem kompetenzorientierten wieder ein inhaltlicher Lehrplan zur Seite gestellt wird: der Status quo im Gymnasium! Wieso nun sollte gerade das Gymnasium auf den entgleisten Zug aufspringen?

Erfolgsrezepte für einen guten Spracherwerb wurden den Kompetenzen geopfert. Trotz mehrerer Evaluationen, welche die fehlende Effizienz des Lehrwerks nachgewiesen haben, konnte der obligatorische Einsatz im Kanton Basel-Landschaft erst durch eine Volksinitiative aufgehoben werden. Man mag erahnen, wie viel Zeit, Nerven und Geld der gesamte Vorgang gekostet hat. Die Baselbieter Englisch- und Französischlehrkräfte haben nun im Nachgang sogar erwirkt, dass dem kompetenzorientierten wieder ein inhaltlicher Lehrplan zur Seite gestellt wird: der Status quo im Gymnasium! Wieso nun sollte gerade das Gymnasium auf den entgleisten Zug aufspringen?

Yasemin Dinekli, Kantonsschullehrerin

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1 Jahr Condorcet – Gute Leute muss man haben! https://condorcet.ch/2020/05/1-jahr-condorcet-gute-leute-muss-man-haben/ https://condorcet.ch/2020/05/1-jahr-condorcet-gute-leute-muss-man-haben/#respond Sat, 23 May 2020 09:11:31 +0000 https://condorcet.ch/?p=5078

Alain Pichard, einer der massgeblichen Initiatoren des Condorcet-Blogs, zieht nach einem Jahr Bildungsblog-Arbeit Bilanz und stellt fest: Es macht Spass! Yasemin Dinekli führt das Gespräch mit dem schweizweit bekannten Lehrer aus Biel.

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Yasemin Dinekli, Gymnasiallehrerin in Zürich, anfangs Lektorin, nun Redaktionsmitglied, führte das Interview.

Condorcet:

1 Jahr Condorcet. Was geht dir dabei spontan durch den Kopf?

Pichard:

Gemischte, ja widersprüchliche Gefühle bestimmen derzeit meine Gemütslage. Einerseits Stolz auf das Erreichte, andererseits aber auch Sorgen, was die weitere Zukunft betrifft.

Condorcet:

Warum Sorgen und nicht nur Stolz? Die hochgesteckten Ziele wurden doch erreicht. Statt 5000 Leserinnen und Leser haben 15’000 schon ein bis mehrere Male in den Blog geschaut, die Kasse ist gefüllt, 200 bis 400 Leute lesen den Blog täglich, der Zuspruch ist gross, die Medien nehmen ihn zunehmend zur Kenntnis.

 

Pichard

Alain Pichard. Lehrer Sekundarstufe 1, Orpund (BE): Die Verantwortung wächst.

Ja, ja, das stimmt ja schon. Aber mit dem unerwarteten Erfolg kommt auch eine grössere Verantwortung. Ich spüre täglich einen gewissen Druck, schaue viel zu viel auf die Klicks und komme kaum mehr dazu, all die Mails und Anfragen zu beantworten. Es sind immer noch relativ wenige Leute, die diesen Blog wirklich tragen. Gerade während der Coronazeit, also während des aufwändigen Fernunterrichts, konnten wir den Blog kaum noch ordentlich betreiben. Die angebotenen Artikel haben sich gestaut, die Autorinnen und Autoren keine Eingangsbestätigung mehr erhalten und auch die Redaktion kam mit dem Lesen der eingehenden Artikel nicht mehr mit.

Condorcet

Du siehst also das Problem nicht im Mangel an Artikeln und Autoren, sondern in deren redaktioneller Bearbeitung und Aufschaltung?

Pichard

So ist es.

Condorcet

Der einjährige Geburtstag ist eine Gelegenheit, einen Blick zurück in die Entstehungsgeschichte des Blogs und auf die Arbeitsweise zu werfen. Dabei möchte ich betonen: Ohne deine Initiative und deine Hartnäckigkeit wäre der Blog nicht zustande gekommen. Und auch in der Redaktionsarbeit ist es so. Die Hauptlast liegt derzeit bei dir: die Kontakte zu den Autoren, die Vorauswahl geeigneter Artikel, die Kommunikation mit der Redaktion, Bildauswahl und Textgestaltung, die Beantwortung positiver oder kritischer Zuschriften. Nicht zuletzt ist deine Arbeit als Autor etlicher Beiträge zu erwähnen und die herrliche Idee, deine Schüler immer wieder Artikel schreiben zu lassen. Ohne dein enormes Engagement wäre der Blog nicht, was er ist. Wann genau ist die Idee dazu entstanden?

Pichard

Im August 2017 trafen sich Urs Kalberer, der Betreiber des Bildungsblogs «Schule-Schweiz», Allan Guggenbühl, Lutz Wittenberg und drei weitere Personen in Zürich. Unsere Idee war es ursprünglich, einen alternativen Lehrerverein zu gründen. Damit wären aber auch unsere Kräfte an zahlreiche administrative Aufgaben gebunden gewesen, die Verbandsarbeit so mit sich bringt. Unser Hauptziel war es vor allem, die reformkritischen Kräfte zu bündeln und eine echte Debattenkultur wiederzubeleben. Einen Blog zu gründen, fanden wir, gäbe uns mehr Freiheiten und würde schweizweit ein Forum für die Diskussion bieten.

Condorcet

Nach all den Abstimmungsniederlagen war das eigentlich keine naheliegende Option …

Pichard

Vielleicht nicht auf den ersten Blick, doch es gab eine stattliche Anzahl kluger Köpfe in verschiedenen Vereinigungen: Neben den Komitees, welche die Initiativen lanciert hatten, gab es das FACH (eine Vereinigung der Gymnasiallehrer), das linke Denknetz, die Gesellschaft  für Bildung und Wissen (GBW), unseren Einspruch-Verein, den sehr kritischen Lehrerverein des Kantons Baselland und zahlreiche unabhängige Denker, die sporadisch für unsere Ideen eintraten. All diese Leute wollten wir «bündeln», zusammenbringen.

Condorcet

Angesichts der immensen Anzahl von Webseiten, die es bereits gibt, ist die Gründung eines Blogs nicht unbedingt eine originelle Idee. Was hat dich persönlich davon überzeugt, dass der Blog der richtige Weg ist, diese Ziele zu erreichen?

Pichard

Man könte sagen, auf einen Blog hat nun niemand wirklich gewartet. Aber er hat grosse Pluspunkte. Er lässt sich mit relativ wenig Geld verwirklichen, erlaubt einen direkten Draht zu unseren «Usern» und kann neben den genannten Zielen auch die Funktion eines «Lagerfeuers» ausüben. Man trifft sich, berät sich miteinander, streitet um die Sache und generiert neue Ideen.

Condorcet

Wie entfacht man ein solches «Lagerfeuer»?

Treffen am Bielersee, Januar 2018.

Pichard

Bei unserem Treffen am 5. Januar in Biel wurde es konkret. Dort trafen sich neben uns beiden Urs Kalberer, Beat Kissling und Georg Geiger. Schon ein halbes Jahr später luden wir zu einer Gründungsversammung in Olten ein.

Concorcet

Die fand am 16. Mai 2018 statt. Es kamen über 50 Personen.

 

Pichard

Oltener Tagung, Mai 2018: Es kamen sehr viele Leute.

Fast alles, was Rang und Namen hatte, wie man so schön sagt. Professor Dr. Herzog aus Bern und Roger von Wartburg, der Präsident des Lehrervereins des Kantons Baselland, hielten die Gastreferate.

Condorcet

Es war auffällig, dass sich in Olten pointiert linke und stark konservative Persönlichkeiten begegneten.

Aber mit der Zeit sollte genau das unser Markenzeichen und eine besondere Stärke des Blogs werden. Er wird von linken, liberalen und konservativen Kräften gemeinsam betrieben.

Pichard

Es war nicht immer leicht, eine solche Truppe zusammenzuhalten. Aber mit der Zeit sollte genau das unser Markenzeichen und eine besondere Stärke des Blogs werden. Er wird von linken, liberalen und konservativen Kräften gemeinsam betrieben.

Condorcet

Wie gelingt das, wenn man sieht, wie unversöhnlich sich diese Kräfte sonst gegenüberstehen?

Pichard

Das hat viel mit unseren Vorbildern zu tun, dem Ehepaar der Aufklärung Sophie und Jean-Marie de Condorcet. Der Blog soll dem Diskurs dienen. Wir haben keine linientreuen Ideologen, sondern kluge Köpfe und gute Autorinnen gesucht und gefunden. Wichtig ist, dass wir hart diskutieren, aber auch einstecken können und auf persönliche Diffamierungen und Unterstellungen verzichten.

Condorcet

Und das funktioniert?

Philipp Loretz, Lehrer Sekundarstufe 1, Vorstandsmitglied des lvb: Brachte das “perspektivische Sehem” in das Selbstverständnis des Blogs.

Pichard

Sagen wir mal so: Es knirschte ab und zu im Gebälk, aber gerade der Diskursgedanke und die Überzeugung, dass jedes Sehen auch ein perspektivisches Sehen ist, hat mit der Zeit den Geist dieses Blogs geprägt und verhilft ihm zu seiner besonderen Ausstrahlung.

Condorcet

Nietzsches Begriff vom «perspektivischen Sehen», den Redaktionsmitglied Philipp Loretz eingebracht hat, ist anfangs nicht auf ungeteilte Zustimmung gestossen. Es kam der Vorwurf, darin läge ein Bekenntnis zum Konstruktivismus.

Pichard

In der Tat. Es löste eine der typischen Diskussionen aus, wie sie auf unserem Blog immer wieder stattfinden. Gegensätzliche Auffassungen, unterschiedliche Interpretationen und gegenseitiges Zuhören. Das ist viel anregender als die Echokammern in den verschiedenen Internetblasen.

Condorcet

Was war für dich die schwierigste Diskussion auf dem Blog?

Die Klimadebatte im Condorcet-Blog löste heftige Emotionen aus.

Die Klimadebatte war am heftigsten.

Pichard

Ganz klar die Klimadebatte. Der Artikel von Professor Dr. Bandelt, in dem er den Klimadiskurs als unwissenschaftlich erachtet, hat einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Es gab etliche Kommentare und Repliken, welche die Stimmung hochgehen liessen. Der Spalt ging mitten durch die Redaktion.

Condorcet

Wie geht man damit um, damit so ein Streit der Positionen nicht zu einem Bruch führt?

Pichard

Neben dem komplexen Thema der Bildung gibt es eben auch noch andere gesellschaftliche Themen, die die Menschen im hohen Masse bewegen. Die Klimadebatte ist so ein Thema, das sehr emotionalisiert diskutiert wird. Das haben wir zu spüren bekommen. Unser Blog war noch zu fragil, um einen solchen Streit in geordnete Bahnen zu lenken, will heissen, so zu führen, dass die Lager besonnen miteinander diskutieren konnten. Ich musste Kommentare zurückweisen, die Aufschaltung und Ablehnug erklären und immer wieder vermitteln. Schliesslich haben wir den Diskurs dann eingestellt. Man muss aber auch festhalten, dass die Nutzerzahlen damals stark in die Höhe geschossen sind.

Condorcet

Auf der Oltener Tagung wurde auch die Finanzierung des Blogs geplant. Ein Spendenaufruf bildete den Auftakt. Kannst du uns etwas zum derzeitigen Stand sagen?

Pichard

Die Erstellung der Homepage wurde mit 15’000 Fr. veranschlagt. Versand, Tagungen, Mieten für Sitzungsräume, Honorare für die Gastreferenten usw. haben wir grosszügig noch einmal mit 5’000 Fr. veranschlagt. Kurz, wir hatten uns das Ziel gesetzt, in 4 Monaten 20’000 Fr. zu sammeln.

Condorcet

Nun, es wurden sogar 23’000 Fr. Aber es gibt keine Löhne oder Entschädigungen.

Pichard

Administrator, Graphiker und Fotografen werden bezahlt. Sonst können wir noch keine Löhne bezahlen.

Kim Thurnherr erstellte unsere Homepage. Er erweist sich als ein Glücksfall.

Condorcet

Ein Glücksfall war insbesondere die Firma KDT-Solutions GmbH des jungen Kim Thurnherr.

Pichard

Kim Thurnherr wurde uns von Philipp Loretz empfohlen und setzte sich schliesslich gegen andere Offerten durch. Er erstellte uns den Blog für einen Bruchteil des veranschlagten Betrags. Das gab uns einen gewissen Spielraum. Er ist phänomenal: immer da, wenn man ihn braucht, und ein absoluter Profi auf seinem Gebiet.

Condorcet

Der Name des Blogs gibt immer noch zu reden. Zunächst war er ja nur als Arbeitstitel gedacht. Viele können sich unter Condorcet immer noch nicht viel vorstellen. Vor kurzem meinte eine Leserin gar, damit seien die Flügel des Condors gemeint. Du hast dich von Anfang an dafür eingesetzt, dass er unser Markenzeichen werden könnte.

Jean-Marie de Condorcet 1742 – 1794

Pichard

Ich selber war im Sommer 2017 bei Prof. Dr. Schneuwly in Genf zu Gast, einem französischsprachigen Kritiker der Kompetenzorientierung und auch des Deutschschweizer Lehrplans 21. Anlässlich unseres Treffens erzählte er mir von Jean-Marie Condorcet, der in der Westschweiz, vor allem aber in Frankreich eine vergleichbare Bedeutung hat wie Pestalozzi bei uns. Er gab mir eine Lektüre mit, und damit war der Funken übergesprungen. Ich kannte Condorcet und seine Gattin Sophie überhaupt nicht. Er ist in der Deutschschweiz erstaunlicherweise völlig unbekannt, obwohl er eine immense Bedeutung bei der Entstehung unseres Schulsystems in der Helvetischen Republik hatte. Eine Aussage von ihm hat sich tief in mir verankert: Schule dürfe keine Meinungen zu erzeugen suchen. Er unterschied deutlich die Begriffe “éducation”, die er der Familie zuordnete und “instruction”, wo er die Schule in Verantwortung sah.

Condorcet

Du hast uns sein Gedankengut nähergebracht, indem du eine Reihe von imaginären Gesprächen mit dem Mathematiker und Philosophen Condorcet verfasst und im September vergangenen Jahres auf dem Blog aufgeschaltet hast. Den Leserinnen und Lesern, die mit dem Namen bis heute noch nichts anzufangen weiss, kann ich diese Gespräche sehr empfehlen. Wie kam es nun dazu, dass sich der Name bei den Bloggründern durchgesetzt hat?

Prof. Dr. Bernard Schneuwly, Genf. Sein Referat über Condorcet überzeugte.

Pichard

Es gab zunächst keine überzeugende Alternative. Es fand sich einfach kein passenderer Name. Mein Freund und Mitstreiter Georg Geiger und Regula Stämpfli setzten sich schliesslich dafür ein, dass Condorcet den Namen unseres Blogs erhält. Der Auftritt von Bernard Schneuwly an unserer Gründungsversammlung hat schliesslich die Mehrheit überzeugt. Er hielt ein faszinierendes Referat zu Jean-Marie de Condorcets Denken und Wirken. Und der Name des Blogs verpflichtet uns genau diesem Gedankengut. Die Namenswahl birgt auch das Anliegen, diesen Philosophen und dessen Frau Sophie in der Deutschschweiz bekannt zu machen.

Condorcet

Es fällt auf, dass der Blog sehr vernetzt ist. Die Komitees der “Starken Schule” sind eingebunden wie auch ausländische Thinktanks.

Diane Ravitch, USA: Der Condorcet-Blog ist im ständigen Kontakt.

Pichard

Die Vernetzung ist sehr wichtig. Ein grosser Schachzug war die Zusammenarbeit mit Diane Ravitch aus den USA. Er hat uns viel Renomee eingebracht. Und ausserdem haben wir durch die Zusammenarbeit mit der GBW einen eklatanten Zuwachs an sehr guten Autoren aus Deutschland erhalten.

Condorcet

Was steht in den kommenden Wochen und Monaten an? Du sagst, die Situation sei immer noch fragil.

Pichard

Der Blog ist keineswegs gesichert. Wir setzen uns immer Business-Ziele. Bis jetzt haben wir sie erreicht. Wir sollten 20’000 Fr. pro Jahr einnehmen und uns stärker professionalisieren. Das heisst, wir sollten 400 Leute finden, die eine Patenschaft von 50 Fr. übernehmen. Diese ermöglichen, dass jede und jeder den Blog gratis lesen kann. Eine Sekretärin haben wir bereits angestellt. Wir müssen die Chefredaktionsarbeit und die Herstellung des Blogs entschädigen. Wir müssen mehr Frauen und mehr Eltern als Autoren gewinnen. Wir müssen eigene Filme produzieren, mehr Interviews machen, mehr Recherche betreiben. Wichtig ist aber immer die Bindung zu unseren LeserInnen. Wir bilden eine Gemeinschaft, die diskutiert, die sich etwas traut und sich auch selber etwas zumutet. Es ist der Widerspruch, der die eigene Position stärkt, nicht die ewige Bestätigung eigener Meinungen. Und natürlich hoffe ich, dass diese einmalige Allianz von linken, liberalen und konservativen Mitstreitern hält. Sie ist in dieser polarisierten Zeit eminent wichtig. Um sie beneiden uns vor allem unsere deutschen Mitstreiter.

Der Blog ist keineswegs gesichert.

Condorcet

Worin siehst du die inhaltlichen Ziele?

Professor Roland Reichenbach: Kritik heisst nicht einfach “Nein” sagen.

Pichard

Wir publizieren hier Texte, die es schwer haben, in den öffentlich-rechtlichen Medien und den Tageszeitungen veröffentlicht zu werden. Der Bildungsbegriff im Sinne von Condorcet und Humboldt bleibt unser Kernanliegen, und wir sind mehrheitlich sehr kritisch gegenüber den laufenden Reformen eingestellt. Unsere Autorinnen und Autoren schätzen die Werte der Aufklärung. Sie versuchen, populären Mythen auf den Grund zu gehen, und sind skeptisch gegenüber Ideologien. Sie misstrauen gewohnheitsmäßigen Prämissen und stellen grundsätzlich die Frage: „Stimmt das überhaupt?” Oder wie es Roland Reichenbach einmal formuliert hat: «Kritik heisst nicht einfach NEIN sagen, Kritik heisst zu prüfen, ob die Gründe für die Behauptungen triftig sind, ob sie stimmen.»

Condorcet

Gewinnt man damit Leserinnen und Leser?

Leser und Leserinnen gewinnt man mit Mut, Verstand, Formulierungsfreude und Originalität.

Pichard

Leser und Leserinnen gewinnt man mit Mut, Verstand, Formulierungsfreude und Originalität. Wir halten unsere Leser für klug und muten ihnen daher auch andere Meinungen zu. Wir suchen den Widerspruch, weil wir auch unsere eigenen Positionen immer wieder hinterfragen wollen.

Condorcet

Kritiker des Blogs halten ihn generell eher für einseitig.

Pichard

Das mag stimmen. Das liegt aber daran, dass wir noch zu wenig Leute haben, die sich wagen, ihre Argumente mit den unsrigen zu messen. Diffamieren und Verschweigen geht nicht mehr. Allerdings muss ich betonen, dass es viele Leute auf der sogenannten «Gegenseite» gibt, die sehr ehrenwerte Ziele verfolgen und auch gute Argumente haben. Ihnen wollen wir Platz bieten.

Condorcet

Wie beurteilst du die Zusammenarbeit in der Redaktion?

Pichard

Unter den sieben Leuten sind glücklicherweise auch zwei Frauen. Ich finde, wir sind eine coole Truppe, ausserordentlich tolerant und eben auch herrlich streitlustig.

Ralph Fehlmann: ein strenger Stilist und Kritiker.

Condorcet

Als Mitglied dieser Redaktion kann ich das bestätigen. Genau das gefällt mir. Doch manche Meinungsverschiedenheiten machen die Entscheidung, einen Text zu veröffentlichen, auch schwer.

Pichard

Wenn man Stilisten wie Felix Hoffmann und den pensionierten Germanisten Ralph Fehlmann in seinen Reihen hat, ist der Konflikt vorprogrammiert. Ralph ist ein unerbittlicher und genauer Textkritiker.

Condorcet

Und die eigene Haltung spielt bei der Zulassung eines Artikels ja auch eine Rolle?

Pichard

Natürlich, aber in der Diskussion lässt sich das meist klären. Häufig entscheiden wir uns bewusst für die Veröffentlichung von Artikeln, deren Meinung wir mehrheitlich nicht teilen, in der Hoffnung, dass eine polarisierende Position auch Repliken hervorbringt.

Condorcet

Apropos Mehrheitsentscheide: Wie häufig kommt es zu knappen Entscheiden?

Pichard

Es gibt mehr, als man denkt. Bei der Klimadebatte stand es oft 3 zu 4!

Condorcet

Wie viele Artikel wurden abgelehnt?

Pichard

Ich denke, es werden so 30 Artikel gewesen sein, die wir nicht publiziert haben, also ca 10%. Dazu muss man sagen, dass viele Artikel überarbeitet oder gekürzt, also von uns redigiert werden, bevor wir sie aufschalten.

Condorcet

Hast du keine Motivationsprobleme angesichts der vielen investierten Stunden pro Woche?

Pichard

Mir macht die Arbeit immer noch Spass. Und es ist ein grosses Privileg, die Texte so guter Autorinnen und Autoren zu lesen, mit ihnen zu kommunizieren, sie zu treffen, mit ihnen zu diskutieren. Ich persönlich profitiere ungemein davon. Es ist halt so: Gute Leute muss man um sich haben!

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Ökonomisierung der Kindheit – Interview mit Jochen Krautz https://condorcet.ch/2019/11/oekonomisierung-der-kindheit-interview-mit-jochen-krautz/ https://condorcet.ch/2019/11/oekonomisierung-der-kindheit-interview-mit-jochen-krautz/#comments Fri, 08 Nov 2019 12:43:50 +0000 https://condorcet.ch/?p=2711

Im Vorfeld der Veranstaltung der St. Galler Kinderärzte traf Yasemin Dinekli den deutschen Kunstpädagogen Professor Dr. Jochen Krautz aus Wuppertal. Der neue Präsident der Gesellschaft für Bildung und Wissen (GBW) ist in der Schweiz auch als Autor ("Im Hamsterrad", "Time for Change" und "Ware Bildung") und Veranstalter der Wuppertaler Tagung "Time for Change" (siehe Condorcet-Blog: "Mut zur Freiheit", 6.5.19) bekannt. Frau Dinekli stellte Professor Krautz unter anderem die Frage, was er denn vom Condorcet-Blog halte. Lesen Sie seine ausführlichen Antworten!

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«Prof. Krautz, was müssen wir uns unter der Formulierung «Ökonomisierung der Kindheit» vorstellen?

Prof. Dr. Jochen Krautz, Präsident der GBW, Buchautor, Kritiker der Bildungsreformen
Yasemin Dinekli, Gymnasiallehrerin in Zürich, Präsidentin des Trägervereins des Condorcet-Blogs, führte das Interview mit Jochen Krautz.

Man stellt sich meistens zunächst auf einer äusseren Ebene vor, dass Kinder immer mehr in die Konsum- und Warenwelt hineingezogen werden. Ganz offensichtlich ist das bei Spielzeug, Kleidung und digitalen Geräten, die schon ab der Kinderwiege Kinder als Konsumenten ansprechen. Das beschreibt die äussere Ökonomisierung der Kindheit. In Bezug auf das Thema Bildung und Schule zeigt sich noch eine ganz andere Ebene, dass nämlich zunehmend ökonomisch geprägte Denk- und Handlungsmuster auf Erziehung und Bildung übertragen werden. Das heisst, Kinder werden nicht nur zu Konsumenten erzogen, sondern Schule – und damit Bildung und Erziehung – funktioniert zunehmend nach ökonomischen Kriterien und nach Handlungsmustern, die eigentlich aus dem Management, aus der Betriebswirtschaft, kommen und in pädagogischen Handlungszusammenhängen nichts verloren haben. Wir erleben insgesamt die Übertragung eines ökonomischen Menschenbildes, des sogenannten Homo oeconomicus, auf Zusammenhänge, in denen dieses Menschenbild nichts verloren hat. Das führt dazu, dass man Schüler, Kinder, immer stärker als sogenanntes Humankapital versteht, in das man investieren muss. Die Schüler sollen auch in sich selbst investieren, in ihre eigene Bildung. Sie gelten sozusagen als «Unternehmer ihrer selbst», als Verwerter ihres eigenen Bildungskapitals.

Das sogenannte Kompetenzverständnis, das dort vertreten wird, reduziert Bildung auf anwendungsbezogene Fertigkeiten. Kompetenz wird verstanden – auch das steht wörtlich in den OECD-Papieren – als  Anpassungsfähigkeit an die Erfordernisse der globalen Ökonomie.

Wie ist diese Ökonomisierung in den Bildungsbereich gelangt?

Das hat Einzug gehalten seit Anfang der 1990er Jahre und dann verstärkt seit Anfang der 2000er Jahre durch die PISA-Studien. Dieses Menschenbild, also der Homo oeconomicus und die Humankapital-Theorie, sind ausdrücklich Grundlage des Bildungsverständnisses der PISA-Studien. Es steht wörtlich in den Studien, dass der ganze Ansatz, der hinter den scheinbar objektiv-empirischen Tests steht, sich in diesen Humankapitaleinsatz einordnet. Das sogenannte Kompetenzverständnis, das dort vertreten wird, reduziert Bildung auf anwendungsbezogene Fertigkeiten. Kompetenz wird verstanden – auch das steht wörtlich in den OECD-Papieren – als  Anpassungsfähigkeit an die Erfordernisse der globalen Ökonomie.

Der messbare, quantitative Outcome ist entscheidend, nicht die Qualität.

Ganz konkret gefragt: An welchen Anzeichen kann man erkennen, ob in Schulen Entscheidungen nicht mehr nach pädagogischen, sondern nach ökonomistischen Gesichtspunkten gefällt werden?

Das sind Anzeichen, die man womöglich erst mal gar nicht damit verbindet. Ich nenne zwei Beispiele: Es ist z.B. üblich – in Deutschland ganz besonders – dass man Schulen als autonome Einheiten versteht. Da denkt man erst einmal: Schön, wenn Schulen sich selbst bestimmen können. Tatsächlich heisst das nur, dass jetzt die Schülerzahlen, die Absolventenquoten wichtig sind, also Output-Kriterien. Der messbare, quantitative Outcome ist entscheidend, nicht die Qualität. Das hat zur Folge, dass Schulen nun in einem künstlich inszenierten Wettbewerb stehen und alles Mögliche an Öffentlichkeitsarbeit, an Projekten, an bunten Veranstaltungen organisieren, aber der Kern, nämlich Unterricht und Erziehung, immer unwichtiger wird. Zunehmend richten sich dann auch Eltern nach dem bunten Angebot, ohne zu fragen, was eigentlich Aufgabe der Schule ist und was ihren Kindern tatsächlich gut tut.

Modernes Klassenzimmer
Bild: api

Ein anderes Beispiel ist das auch in der Schweiz sehr dominante «selbstgesteuerte» oder «selbstorganisierte Lernen». Das klingt zunächst einmal recht kinderfreundlich und etwas nach Reformpädagogik: Eine Lernumgebung wird gestaltet, in der die Kinder nicht mehr unterrichtet werden, sondern selbstgesteuert Aufgaben abarbeiten nach Wochenplänen und Ähnlichem, in Klassenräumen, die wie Grossraumbüros aussehen. Tatsächlich wird so gerade nicht Individualität gefördert, sondern solche Individualisierung vereinzelt und isoliert die Kinder. Sie lernen, Vorgaben abzuarbeiten. In einem tatsächlich schon wie in einem Grossraumbüro organisierten Setting lernen sie, Aufgaben zu bearbeiten, darüber Rechenschaft abzulegen, sich selbst zu kontrollieren und Kompetenzfortschritte in Raster einzutragen. Sie werden sozial atomisiert, und damit löst sich eigentlich das Grundverhältnis von Pädagogik auf. Ganz interessant ist, dass damit das kapitalistische Marktprinzip Einzug hält, denn mit dieser Situation werden die ohnehin starken Schüler, die von Zuhause schon kulturelles «Kapital» mitbringen, besser zurechtkommen als die Schwachen. Gerade aber die schwachen Schüler, die sehr konkrete Anleitung und Beziehung bräuchten, gehen darin unter. Man hat auf eine ganz merkwürdige Art und Weise eine Art radikalkapitalistisches System installiert, das nach dem Prinzip des «survival of the fittest» selektiv wirkt. Derjenige, der sich behaupten kann, kommt durch, und die anderen gehen unter. Hinter all diesen natürlich sehr blumig als Fortschritt beschriebenen Lernformen geht eigentlich genau das verloren, worum es angeblich immer geht, nämlich Bildungsgerechtigkeit herzustellen.

Bild: Adobe Stock

Gibt es in dieser Hinsicht Unterschiede zwischen Deutschland und der Schweiz?

Ich kann das nur aus meiner Beobachtung beurteilen. Die Unterschiede scheinen sich mehr und mehr anzugleichen. Deutschland war seit Anfang der 2000er Jahre weit voraus in der Umsetzung dieser Reformen. Die Schweiz hat aber in den letzten Jahren rasant und auch mit einer erstaunlichen Brutalität das System adaptiert und umgesetzt. Meiner Beobachtung nach ist das fast zu einer Gleichschaltung im pädagogischen Denken und Handeln gekommen. Die Instrumente, die in der Schweiz eingesetzt werden, wirken meiner Einschätzung nach schärfer, weil in Deutschland die Lehrer verbeamtet sind – was aufgrund der deutschen Historie immer ambivalent ist: Deutsche Lehrer sind grundsätzlich erst mal misstrauisch gegen das, was von oben kommt, machen vieles auch einfach nicht mit, sind aber gesichert. In der Schweiz scheint zunehmend der Druck auf Lehrerinnen und Lehrer ausgeübt zu werden, so dass es tatsächlich zu Entlassungen oder Androhungen von Entlassungen kommt, was in der Schweiz ja möglich ist. Die öffentliche Diskussion um diese Fragen scheint inzwischen in beiden Ländern zu beginnen. Ich kann der Schweiz nur wünschen, dass dies zunimmt.

Sie haben dieses Jahr die Präsidentschaft der Gesellschaft für Bildung und Wissen (GBW) übernommen. Die GBW ist ein Zusammenschluss von Hochschullehrenden und Wissenschaftlern, der sich gegründet hat, nachdem die Universitäten gegen ihren Willen mit der Bologna-Reform überrannt wurden. Ziel war es, die Hintergründe des Paradigmenwechsels in der gesamten Bildungsdebatte eingehend zu verstehen und ein Instrument gegen den damit einhergehenden Abbau von Bildung und Wissen in den Hochschulen zu entwickeln. Können Sie uns etwas über die Arbeitsweise und den Wirkungsradius der GBW sagen?

Prof. Dr. Hans Peter Klein gründete die GBW,
Autor von “Abitur und Bachelor für alle – wie ein Land seine Zukunft verspielt”

Die Gesellschaft wurde eigentlich in der Nachfolge der «Frankfurter Einsprüche gegen die Ökonomisierung des Bildungswesens» von 2006 gegründet. Sie geht zurück auf eine Initiative der Kollegen Gruschka und Klein aus Frankfurt. Von Anfang an bestand die Gesellschaft nicht nur aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, sondern genauso aus Lehrerinnen und Lehrern und anderen pädagogisch Tätigen. D.h., es ist ein inzwischen doch recht grosser Zusammenschluss eben von Kolleginnen und Kollegen aus der Wissenschaft mit denen aus der pädagogischen Praxis. Ich halte genau das für wichtig, um den Austausch zwischen dem, was man wissenschaftlich analysieren kann mit der Praxis herzustellen. Zur Arbeitsweise: Es ist ein freier Zusammenschluss als Plattform für den Austausch über diese Fragen. Der läuft vor allem über die Webseite der Gesellschaft. Wir haben zudem regelmässig grosse Tagungen veranstaltet, in Frankfurt, in Köln, in Offenburg, in Wuppertal, mit jeweils 300 bis 400 Teilnehmern. Die Tagungen bringen einerseits  die inhaltliche Analyse voran und sind zum anderen  Möglichkeit des Austauschs. Aus einigen der Tagungen entstanden auch Publikationen, die z.T. online zugänglich sind. Zudem halten viele Kolleginnen und Kollegen zahllose Vorträge in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Zudem versuchen wir Stellungnahmen zu aktuellen Problemen zu erarbeiten. Es gibt eine Publikation der GBW, den «Bildungsrat», der politisch Verantwortlichen eine Möglichkeit geben will, sich auch positiv zu orientieren, was Schule und Unterricht eigentlich ausmacht. Die Publikation zeigt, dass das, was heute passiert, nicht alternativlos ist, sondern dass die Pädagogik in ihrer Geschichte und Systematik sehr wohl andere Möglichkeiten hat, pädagogisches Handeln zu gestalten.

Und eine jüngere Entwicklung ist, dass sich regionale Gesprächsgruppen in der GBW organisieren, so dass auch der Austausch vor Ort in kleineren Kreisen vorankommt. Ich halte das für wichtig, weil viele Lehrerinnen und Lehrer unter diesen Entwicklungen massiv leiden und der wechselseitige Austausch und die Bestärkung enorm wichtig sind, um dem fast totalitären Druck, der ausgeübt wird, überhaupt standzuhalten.

Besteht auch mit der Schweiz eine Zusammenarbeit?

Ja, wir haben einen Vizepräsidenten der Gesellschaft in der Schweiz, das ist der Kollege Carl Bossard, ebenso wie einen Vizepräsidenten in Österreich, den Kollegen Konrad Paul Liessmann, so dass wir auch in die Schweiz und Österreich hinein einen Austausch haben.

Meine Erfahrung ist auch, dass an vielen Stellen Kolleginnen und Kollegen sitzen, die sehr froh sind über solche Möglichkeiten und darüber, im Condorcet-Blog etwas anderes zu lesen und zu hören, selbst wenn man von diesen Leserinnen und Lesern nichts hört.

Nun eine letzte Frage in eigener Sache. Wir haben ja unseren Blog gebildet, um auch innerhalb der Schweiz einen solchen Austausch zu ermöglichen. Was halten Sie vom Schweizer Condorcet-Blog?

Mich hat es sehr gefreut, dass diese Initiative zustande kam und dieser Blog nun eine Plattform bildet, der ähnlich wie die GBW eine Möglichkeit eröffnet, die Diskussion und den öffentlichen Diskurs voranzubringen. Soweit ich den Condorcet-Blog beobachte, spriesst das ja sehr erfreulich und sehr lebhaft. Ich kann nur wünschen, dass sich das weiter so entwickelt. Denn der Bedarf daran, die Diskussion voranzubringen, ist gross. Meine Erfahrung ist auch, dass an vielen Stellen Kolleginnen und Kollegen sitzen, die sehr froh sind über solche Möglichkeiten und darüber, im Condorcet-Blog etwas anderes zu lesen und zu hören, selbst wenn man von diesen Leserinnen und Lesern nichts hört. Er ist als Möglichkeit von Vernetzung, Austausch und Klärung der Sache von grosser Bedeutung.

Danke für diese Rückmeldung und das Gespräch, Prof. Krautz.

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Was sich der Homo oeconomicus in unseren Schulen so alles ausdenkt https://condorcet.ch/2019/11/was-sich-der-homo-oeconomicus-in-unseren-schulen-so-alles-ausdenkt/ https://condorcet.ch/2019/11/was-sich-der-homo-oeconomicus-in-unseren-schulen-so-alles-ausdenkt/#respond Sun, 03 Nov 2019 21:09:20 +0000 https://condorcet.ch/?p=2649

Dass Kinderärzte und Lehrpersonen sich gleichermassen mit Markt- und Steuerungsmechanismen herumschlagen, doch mit sogenannt evidenzbasierten Messverfahren die eigene Wirksamkeit ihrer Heil- und Lehrkunst untergraben, haben die Vorträge von Prof. Dr. Giovanni Maio und Prof. Dr. Jochen Krautz im Rahmen der St. Galler Vortragsreihe «PÄDIATRIE, SCHULE & GESELLSCHAFT» vom 30. Oktober zum Thema «Ökonomisierung der Kindheit – eine Herausforderung für Schule und Pädiatrie» anschaulich vor Augen geführt. Ein Erlebnis von Condorcet-Autorin Yasemin Dinekli aus dem Bereich der Schulevaluation zeigt die kafkaesken Züge, die das annehmen kann.

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Yasemin Dinekli, Gymnasiallehrerin und Präsidentin des Trägervereins des Condorcet-Blogs

Die Relevanz der beiden Vorträge, insbesondere die Feststellung, dass sie von der eigentlichen Profession ablenken, möchte ich mit einer Anekdote aus meinem Schulalltag veranschaulichen. Im Rahmen der zuletzt durchgeführten Schulevaluation an der Mittelschule, an der ich unterrichte, wurde ich per Zufallsgenerator zu einer repräsentativen Umfrage mit 20 anderen Lehrpersonen eingeladen. Es ging um das Funktionieren der schon vor Jahren top-down eingeforderten Qualitätsentwicklung (QEL) an unserer Schule. Wir sollten Auskunft in dem Interview darüber geben, ob diese entsprechend der Vereinbarungen umgesetzt worden sei. Auf meine Frage, ob denn die Evaluation im Ergebnis auch feststellen werde, ob die QEL zu mehr Qualität an der Schule geführt habe, hiess es: Nein, sicher nicht! Es gehe lediglich um die Umsetzung; die Qualität einer Schule werde durch das Institut für externe Evaluation in der Sekundarstufe II (IFES) nicht beurteilt. Die Aussage erntete ausgelassenes Gelächter unter uns angesichts des ungeheuren logistischen, finanziellen und zeitlichen Aufwandes, der durch das IFES verursacht worden war: online-Befragung der gut 320 Lehrpersonen, Befragungen der Schulleitung, Interviewgruppen mit den Lehrpersonen, den Lernenden sowie mit dem nicht unterrichtenden Personal während dreier Tage, natürlich mit vielen Unterrichtsausfällen.

Auf meine Frage, ob denn die Evaluation im Ergebnis auch feststellen werde, ob die QEL zu mehr Qualität an der Schule geführt habe, hiess es: Nein, sicher nicht! Es gehe lediglich um die Umsetzung; die Qualität einer Schule werde durch das Institut für externe Evaluation in der Sekundarstufe II (IFES) nicht beurteilt.

 

Energie und Aufwand der Schulleitung dürfte angesichts der geforderten Rechenschaftsberichte noch um einiges grösser gewesen sein. Doch der Humor hat mich durch die weitere Entwicklung irgendwann einmal verlassen. Nachdem ich im Gesamtkonvent auf die Absurdität dieses teuren, aber völlig unnötigen und die Kräfte absorbierenden Verfahrens hingewiesen hatte, wurde ich freundlich eingeladen, an einer «Resonanzgruppe» teilzunehmen, um Massnahmen aus den Ergebnissen der externen Evaluation zu entwickeln. Ich habe daraufhin, zusammen mit einigen anderen von mir geschätzten Lehrkräften weitere Zeit in Sitzungen investiert, in denen mittels modern wirkender Gruppenarbeitstechniken viel Papier mit wenig konkreten Ergebnissen produziert wurde – die wichtigsten Überlegungen wären in einem gemeinsamen Gespräch rasch zusammengetragen worden. Erneut haben wir das als unnötige Beschäftigung empfunden. Immer wieder sah ich während und nach den Sitzungen in betretene Gesichter. Nicht nur ich fragte mich, was wir hier eigentlich zu welchem Zwecke tun. Der Ausgang war nicht minder absurd: Es gelang uns gerade noch den Entscheid zu verhindern, einen externen Organisationsentwickler an die Schule zu holen, um dadurch unsere Kommunikationsstrategie zu verbessern. Unser schlagendes Argument: Bis wir einem externen Berater die Schwierigkeiten innerhalb der Informations- und Kommunikationsabläufe in einer erst seit kurzer Zeit fusionierten und daher sehr grossen und komplexen Schule verständlich gemacht haben und er uns ein Konzept mit innerbetrieblichen Steuerungsmechanismen auferlegt, werden wir doch mit deutlich minder grossem Aufwand das Problem selbst zu lösen imstande sein: indem wir schlicht miteinander darüber reden, was ansteht. Zur allgemeinen Erleichterung war die Arbeit der «Resonanzgruppe» damit endlich aufgehoben; das schale Gefühl, was hier nun eigentlich passiert war, blieb.

«Qualitätsmanagement» als «Blase»

«Qualitätsmanagement» ist im pädagogischen Feld nichts anderes als eine «Blase»: Sie schluckt die Zeit, die letztlich vom eigentlichen «Kerngeschäft» abgeht – auch das wieder ein seltsam ökonomistischer Begriff. Unserer Profession entspricht es, durch fachliche und didaktische Vorbereitung guten Unterricht zu garantieren und unseren Schülerinnen und Schülern mit besonderem pädagogischem Feingespür in ihrem Lernprozess und ihrer Persönlichkeitsentwicklung zur Seite zu stehen, unsere «Lehrkunst», wie Jochen Krautz mit Recht das Wesen unseres Tuns benennt, in immer neu zu gestaltenden Situationen zu schulen, zu entfalten und zu vergrössern.

Schulentwicklung ohne Organisationsentwicklung

In den etwa 10 Jahren an der Vorgängerschule ohne Organisationsentwicklung in der Schulführung nahmen vergleichbare Fragen folgenden Gang: Stellte sich ein augenfälliges pädagogisches Problem – dazu gehören selbstverständlich alle Fragen nach der Qualität unseres Tuns –, wurde es durch mindesten eine Lehrperson im Konvent thematisiert, gegebenenfalls mit einem Antrag, inklusive Lösungsvorschlag. Bei komplexeren Fragen bildete man eine Kommission mit 2 – 3 in der Frage beschlagenen Lehrkräften, die Lösungen suchen und diese mit Varianten und Pro-Contra-Argumentarien im Konvent vorstellen, so dass man nach eingehender Diskussion, gegebenenfalls erst im nächsten Konvent, abstimmen konnte. Vorteil: Jeder kannte sämtliche Argumente; jeder hatte Zeit, sich durch die zusammengetragenen Aspekte ein Bild zu machen; jeder konnte noch nicht beachtete Erfahrungen und Überlegungen ergänzen; und von besonderer Wichtigkeit: Jeder trug aufgrund der Transparenz und der echten demokratischen Partizipation die Entscheidungen sogar dann mit, wenn sie nicht dem eigenen Standpunkt entsprachen. Nie habe ich mich in solchen Prozessen gefragt, was wir hier eigentlich tun. Es lag immer auf der Hand. Das Verfahren sorgte für eine ausgezeichnete Schulkultur, weil Partizipation demokratisch in Freiheit und Verantwortung realisiert wurde. Die Konventsreglemente haben sich bis heute nicht geändert, könnte man mir vorhalten. Und ja, manche Entscheidungen werden immer noch nach diesem Verfahren gefällt. Und doch wird zunehmend Partizipation in neuen Formen praktiziert, die ebenfalls diesen «Blasen»-Charakter besitzen. Sticht man hinein, löst sich alles in Schaum auf.

Klebepünktchen und «World-Cafés»

Matthias Burchardt / Jochen Krautz (Hrsg.): Im Hamsterrad. Schule zwischen Überlastung und Anpassungsdruck – Time for Change? Teil II, München 2019

Der Band steht auch auf der Homepage der Gesellschaft für Bildung und Wissen zum Download zur Verfügung:
https://bildung-wissen.eu/fachbeitraege/time-for-change-band-2.html

Heute füllen wir nach den neuesten Managementmethoden Flipcharts in sogenannten «World-Cafés» aus (Was für ein Name!?), die im Ergebnis niemanden mehr interessieren; wir dürfen Klebepünktchen an Meinungspole anbringen oder ein Kommentärchen in Form eines Haftzettels – so erlebt in einer «Leitbild-Retraite». Warum ökonomistische Meinungsbildungsmethoden so infantilisierend daherkommen, auch dazu hat Jochen Krautz etwas zu sagen. Es wäre einen weiteren Artikel wert. Ich überlasse den Leser seiner Neugierde und verweise auf die beiden von ihm und Matthias Burchardt herausgegebenen und äusserst lohnenswerten beiden Tagungsbände: «Time for Change», «Im Hamsterrad» sowie auf sein Buch «Ware Bildung», durch dessen Lektüre ich zum ersten Mal eine umfassende Entwirrung dieser seltsamen Prozesse erleben durfte. Mir hat’s geholfen. Ich halte mich heute für immun gegenüber derartiger Methoden und habe auch meinen Humor wiedergefunden, sobald mir Begriffe begegnen, die mit meinem Beruf – wirklich – rein gar nichts zu tun haben, die uns aber verfolgen wie die Fliegen:

Qualitätsmanagement, Change-Management, Organisationsentwicklung, Evaluation, Kompetenzraster, Classroom-Management, Lernverträge, Coaching, Lernmanagement und neu in der Bildungsdebatte nun auch: Governance

 

Sind auch Sie, liebe Leserinnen und Leser, dem Homo oeconomicus im Schulzimmer schon begegnet und haben sich gefragt, was er dort eigentlich zu suchen hat? Schicken Sie uns Ihr Beispiel. Wer weiss, wofür die Sammlung und Veröffentlichung noch dienen kann.

 

 

 

 

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