Daniel Goepfert - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Wed, 23 Dec 2020 06:35:10 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Daniel Goepfert - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Lehrkräfte als Kinohelden oder Deppen der Nation – Die Bildung im Kino: Heute Daniel Goepferts Empfehlung https://condorcet.ch/2020/12/lehrkraefte-als-kinohelden-oder-deppen-der-nation-die-bildung-im-kino-heute-daniel-goepferts-empfehlung/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=lehrkraefte-als-kinohelden-oder-deppen-der-nation-die-bildung-im-kino-heute-daniel-goepferts-empfehlung https://condorcet.ch/2020/12/lehrkraefte-als-kinohelden-oder-deppen-der-nation-die-bildung-im-kino-heute-daniel-goepferts-empfehlung/#respond Wed, 23 Dec 2020 00:32:20 +0000 https://condorcet.ch/?p=7274

Den Reigen der Filmtipps in unserer Serie "Bildung im Kino" beginnt Condorcet-Autor Daniel Goepfert, der auch Mitglied unserer Redaktion ist.

The post Lehrkräfte als Kinohelden oder Deppen der Nation – Die Bildung im Kino: Heute Daniel Goepferts Empfehlung first appeared on Condorcet.

]]>
Daniel Goepfert, Basel

Film 1: Bad Teacher

 

Wer eine hochstehende Komödie mit witzigen oder gar tiefsinnige Wortwechseln erwartet, wird hier nicht fündig. Es handelt sich um eine Blödelkomödie, in der Cameron Diaz eine Aushilfelehrerin spielt, die mit ihrem Lohn eine Brustvergrösserung finanzieren will. Mit dieser soll das Herz (oder was auch immer) eines reichen Schnösels erobert werden. Als dieser unter dem Einfluss seiner Mutter das Weite sucht, muss unsere Heldin, die sehr wenig Heldin ist, ein ganzes Pensum übernehmen. Dieses bestreitet sie, indem sie Filme zeigt und dabei oft schläft. Eines Tags erfährt sie aber, dass die Klasse mit der besten Durchschnittsnote in der Abschlussprüfung eine Auszeichnung und ihre Lehrkraft eine substantielle Belohnung erhält…

Film 2: Entre les murs / Die Klasse

Ein beklemmender, aufwühlender und wunderschöner Film. Im XX. Arrondissement am Rand der Stadt Paris kämpft der Lehrer François gegen den Widerstand seiner Schüler*innen und stürzt sich dabei in anstrengende Wortduelle. Er will Bildung vermitteln, wehrt sich dabei gegen die Resignation, die sich im Lehrkräftezimmer breitmacht und gibt nicht auf. Die Darstellerinnen und Darsteller sind Laienschauspieler*innen.

Film 3 Dead Poets Society / Club der toten Dichter

Guter Unterricht als Ausnahmezustand. Mit diesem Film gehen wir zurück in die 50er Jahre, in ein strenges Internat, in dem die Schüler für eine Eliteuniversität fit gemacht werden sollen. Der junge Lehrer John Keating versucht, sie zu eigenem Denken anzuregen und für die Poesie zu begeistern. Die Schüler erfahren, dass Keating, als er selbst Schüler war, den „Club der toten Dichter“ gründete. Im Wald nahe der Schule wurde gefühlsbetonte Poesie gefeiert. Die Schüler machen es ihm nach, bald wird aber sie die Realität einholen, respektive der übermächtige Druck von Eltern und Lehrern. Robbie Williams spielt die Rolle des Lehrers ausgezeichnet. Der Film selbst ist zum Glück heute nicht mehr aktuell. Lehrkräfte, die den Film sahen, erkennt man daran, dass sie auf den Tisch steigen, um ein Gedicht zu rezitieren oder dafür in die Natur gehen.

Daniel Goepfert

The post Lehrkräfte als Kinohelden oder Deppen der Nation – Die Bildung im Kino: Heute Daniel Goepferts Empfehlung first appeared on Condorcet.

]]>
https://condorcet.ch/2020/12/lehrkraefte-als-kinohelden-oder-deppen-der-nation-die-bildung-im-kino-heute-daniel-goepferts-empfehlung/feed/ 0
Wie konnte es soweit kommen? https://condorcet.ch/2020/10/wie-konnte-es-soweit-kommen/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=wie-konnte-es-soweit-kommen https://condorcet.ch/2020/10/wie-konnte-es-soweit-kommen/#comments Mon, 19 Oct 2020 13:33:29 +0000 https://condorcet.ch/?p=6710

Die Ermordung des französischen Lehrers durch einen jungen Islamisten darf auch uns nicht ruhig lassen. Monströsität in drei Varianten: Monströs das Motiv, monströs die Tat selber und monströs die Brandstiftung im Netz. Condorcet-Autor Daniel Goepfert fordert Solidarität.

The post Wie konnte es soweit kommen? first appeared on Condorcet.

]]>
Daniel Goepfert, ehem. Gymnasiallehrer, Basel, ehem. Parteipräsident der SP: Situation schon vor der Tat eskaliert.

Wie kann es sein, dass man im Jahr 2020 als Lehrer einer Mittelschule in der kleinen französischen Stadt Conflans-Sainte-Honorine als Folge seines Unterrichts auf offener Strasse enthauptet wird? Von der Antwort auf diese Frage hängt viel ab. Jetzt ist aber die Zeit der Emotionen. Tatsächlich ist keine andere Reaktion als Wut und Empörung über das abscheuliche Verbrechen möglich. Der Lehrer sollte laut Lehrplan die Meinungsfreiheit und ihre Grenzen beleuchten. Dass er zu diesem Zweck eine Karikatur aus Charlie-Hebdo mit dem nackten Propheten zeigte, war folgerichtig. Die Diskussion, ob diese Karikatur nicht auch dazu geeignet war, Menschen islamischen Glaubens zu verletzen, kann und darf nicht Anlass dazu sein, die abscheuliche Tat in irgendeiner Weise zu entschuldigen. Es meldeten sich die Gewerkschaften zu Wort, um ihre Empörung, aber auch ihre Verunsicherung kundzutun. Einzelne Abgeordnete aus dem Wahlkreis der Mittelschule verlangen neben der Verurteilung der Tat neue Gesetze, „um solche Verbrechen ein für alle Male zu verhindern“. Staatspräsident Macron hielt die Prinzipien der Aufklärung und der Republik hoch: Meinungsäusserungsfreiheit, Trennung von Kirche und Staat, demokratischer Diskurs.

Problematisch wurde es in dem Moment, als er den Lehrer im Internet auf krude Weise angriff und dessen Name sowie die Adresse der Schule bekanntgab.

Parallelgesellschaften

Wie konnte es aber überhaupt so weit kommen? In Frankreich bildeten sich in den letzten Jahrzehnten Parallelgesellschaften, in denen andere Regeln gelten als in der sie umgebenden Gesellschaft. Diese Entwicklung wird durch die mangelnden Perspektiven für die jungen Angehörigen solcher abgespaltener Gesellschaftsschichten befördert. Das Problem ist nun, dass diese Tendenz bekämpft werden muss, ohne die betroffenen Mitbürgerinnen und Mitbürger selbst zu bekämpfen. Das Ziel muss im Gegenteil sein, dass sich wieder alle hinter den Idealen der Republik zusammenscharen können. Schliesslich braucht es eine erhöhte Aufmerksamkeit. Tatsächlich kann im Nachhinein festgestellt werden, dass die Situation schon vor der Tat eskalierte. Der Vater einer muslimischen Schülerin beschwerte sich bei der Schulleitung über den Lehrer und reichte eine Strafanzeige ein, was beides zu seinen Rechten gehört. Problematisch wurde es in dem Moment, als er den Lehrer im Internet auf krude Weise angriff und seinen Namen sowie die Adresse der Schule bekanntgab. Er schrieb auch, man müsse den Lehrer stoppen. Ein 18-jähriger Russe tschetschenischer Herkunft schritt dann zur grausigen Tat.

Es bleibt uns nichts anderes übrig, als diese Tat zu verurteilen und solidarisch zu sein mit den französischen Lehrkräften. Und aufmerksam zu sein, um rechtzeitig auf antidemokratische Entwicklungen zu reagieren. Und zu hoffen, dass wir von dieser abscheulichen Form von Terror verschont bleiben.

 

The post Wie konnte es soweit kommen? first appeared on Condorcet.

]]>
https://condorcet.ch/2020/10/wie-konnte-es-soweit-kommen/feed/ 1
Diese Schlussfolgerung geht zu weit. Eine Replik auf Peter Aebersolds Artikel https://condorcet.ch/2020/08/diese-schlussfolgerung-geht-zu-weit-eine-replik-zu-peter-aebersolds-artikel/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=diese-schlussfolgerung-geht-zu-weit-eine-replik-zu-peter-aebersolds-artikel https://condorcet.ch/2020/08/diese-schlussfolgerung-geht-zu-weit-eine-replik-zu-peter-aebersolds-artikel/#respond Thu, 20 Aug 2020 04:37:00 +0000 https://condorcet.ch/?p=6119

Condorcet-Autor und Redaktionsmitglied unseres Blogs Daniel Goepfert erkennt zwar die von Peter Aebersold dargestellten historischen Verdienste der jungen Schweiz an, widerspricht aber den Schlussfolgerungen und vor allem dem Vergleich zur heutigen Schule energisch. Auch die Rolle Pestalozzis, so Daniel Goepfert, sei eine andere.

The post Diese Schlussfolgerung geht zu weit. Eine Replik auf Peter Aebersolds Artikel first appeared on Condorcet.

]]>

Es ist sicher angebracht, die historischen Verdienste der Helvetischen Republik und der noch jungen Schweiz im Bereich der Bildung den heutigen Leserinnen und Lesern bewusst zu machen. Jedoch der Vergleich und die Schlussfolgerungen zur heutigen Schule ärgern mich. Kollege Aebersold meint, man könne „die Prügelstrafe, autoritäre Wertvorstellungen, Lehrerinnenzölibat usw.“ der Schule des 19. Jahrhunderts zwar kritisieren, heute seien wir aber daran, die tragenden Säulen der Volksschule zu schleifen, was für ihn offensichtlich schwerer wiegt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand in eine Klasse mit 100 Schülern oder Schülerinnen zurück möchte. Ich selbst erinnere mich daran, wie ich an den Haaren hochgezogen wurde und wünsche das niemandem. Der systematischen Prügelstrafe entging ich dank meiner späten Geburt.

In weiten Strecken glich der Unterricht in der Volksschule des 19. Jahrhunderts eher einer Dressur als einem Unterricht, wie wir ihn heute verstehen.

Der systematischen Prügelstrafe entging ich nur dank meiner späten Geburt.

In weiten Strecken glich der Unterricht in der Volksschule des 19. Jahrhunderts eher einer Dressur als einem Unterricht, wie wir ihn heute verstehen. Auch kann keine Rede davon sein, dass die Lehren von Pestalozzi den Schulbetrieb bestimmten. Seine Schriften wurden durchaus gelesen, aber eine Implementierung in alle Volksschulen wäre schon nur aufgrund des Föderalismus in der Schweiz nicht möglich gewesen. Mit den Worten von Professor Jürgen Oelkers: „Pestalozzis Anstalt ist durch Methodenbücher bekannt geworden, die die tatsächliche Praxis jedoch nie bestimmt haben“ (Regionale Schulentwicklung und die Modernisierung des Bildungswesens, UZH 2015, S.4). Welches Erbe hinterlässt uns also die Volkschule des 19. Jahrhunderts?

Die Schule muss allen zugänglich und kostenlos sein, das Wissen muss den Glauben ersetzen. Hinter diese Prinzipien stelle ich mich gerne, aber eben nicht hinter die Praxis.

The post Diese Schlussfolgerung geht zu weit. Eine Replik auf Peter Aebersolds Artikel first appeared on Condorcet.

]]>
https://condorcet.ch/2020/08/diese-schlussfolgerung-geht-zu-weit-eine-replik-zu-peter-aebersolds-artikel/feed/ 0
Bei der Logopädin https://condorcet.ch/2019/12/bei-der-logopaedin/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=bei-der-logopaedin https://condorcet.ch/2019/12/bei-der-logopaedin/#comments Thu, 12 Dec 2019 12:25:20 +0000 https://condorcet.ch/?p=3251

Endlich wieder einmal ein Beitrag aus der Elternperspektive. Condorcet-Autor und Redaktionsmitglied Daniel Goepfert schildert eine persönliche Erfahrung mit der therapeutischen Abteilung.

The post Bei der Logopädin first appeared on Condorcet.

]]>
Daniel Goepfert, BS, ehem. Grossratspräsident, SP, Gymnasiallehrer und dreifacher Vater

Die Stadt Basel brodelte, als ich meinen jüngeren Sohn um 14:00 Uhr zur Logopädin brachte. Das Gespräch fand in einem grossen, leeren Haus statt, die Stimmung war ein bisschen gespenstisch. Die Logopädin entschuldigte sich, sie sei soeben aus Biel nach Basel gezogen und hätte nicht gewusst, dass dieser Tag mitten in der Fastnacht liege. Ich gestand ihr, dass mir die Überschneidung der beiden Termine nicht nur bewusst gewesen sei, sondern dass sie mir damit einen Gefallen getan habe, weil ich ein Fastnachtsmuffel sei. Nach dieser Begrüssung wandten wir uns dem Problem meines Sohnes zu.

 

Wir schickten unseren Sohn allerdings nicht zur Logopädie, weil wir dachten, die Sache würde sich, wie bei anderen Kindern auch, von alleine auswachsen.

Schon seine Kindergärtnerin hatte meine Frau und mich darauf hingewiesen, dass er den Buchstaben „s“ falsch aussprach. Dasselbe wiederholte sich an der Primarschule. Wir schickten unseren Sohn allerdings nicht zur Logopädie, weil wir dachten, die Sache würde sich, wie bei anderen Kindern auch, von alleine auswachsen. Zudem hatte ich meinen Sohn geradezu zum Lispeln ermutigt, in dem ich sein Anstossen als „herzig“ bezeichnet und es im Gespräch mit ihm sogar imitiert hatte. Das würde ich in Zukunft unterlassen.

Die Primarlehrerin drängte auf eine Therapie

Die Primarlehrerin drängte jedoch auch auf eine Therapie. Ich bekam mit der Zeit den Eindruck, dass sie meine Frau und mich für renitente Eltern hielt, die das Problem ihres Kindes nicht ernst nahmen. Die Tatsache, dass wir beide Lehrkräfte waren, machte die Sache nicht besser. Langsam fürchteten wir, unser Sohn könnte mit der Zeit wirklich unter der Situation leiden, sei es wegen seines Lispelns, sei es wegen der mangelnden Kooperation seiner Eltern mit der Schule. Um das zu vermeiden, stimmten wir der Therapie schliesslich zu.

Gibt es in deiner Familie Probleme?

Nun waren wir also die knarrende Holztreppe hoch gestiegen und sassen zu dritt um einen kleinen, niedrigen Tisch: mein jüngster Sohn, die Logopädin und ich. Meine anderen Kinder und meine Frau vergnügten sich unterdessen an der Fastnacht, deren Dröhnen durch das Turmfenster eindrang. Die ersten Fragen drehten sich um die Personalien meines Sohnes. Dann wandte sich die Logopädin ihm zu und bedeutete mir, ich dürfe gerne im Raum bleiben. Damit sagte sie indirekt, dass ich von nun an zu schweigen habe. Mit den ersten Fragen ergründete sie, ob sich mein Sohn an der Schule wohl fühle, wie es mit dem Verhältnis zu den Lehrkräften bestellt sei und ob er Freunde habe. Dann fragte sie ihn, ob es in seiner Familie Probleme gebe. Ich hielt die Luft an und bewegte die Augen nach oben, was die Logopädin bemerkte. Ich sei sicher erstaunt über diese Frage, meinte sie. Die vorübergehende Redeerlaubnis nutzte ich, um mein Erstaunen zu bestätigen. „Wissen Sie“, so daraufhin die Logopädin, „eine schwere Sprachstörung kann ein Hinweis auf eine familiäre Dysfunktion sein.“ Darauf gab ich mir selbst das Wort und erwiderte, es handle sich beim Problem meines Sohns keineswegs um eine schwere Störung. Das genau kläre sie doch gerade ab, entgegnete die Logopädin, sie gehe aber auch davon aus, dass es nicht schwerwiegend sei.

Befund: Nichts Schwerwiegendes!

Kein schwerwiegendes Problem

Als die Untersuchung fertig war, eröffnete sie mir denn auch, mein Sohn habe kein unüberwindbares Problem. Kurz zusammengefasst könne er den Buchstaben „s“ korrekt aussprechen, tue es aber nicht. Meine Frau und ich müssten ihn einfach jedes Mal korrigieren.

Nun sassen wir zu dritt im leeren Haus und schwiegen uns einen Moment lang an. „Wie soll es weitergehen?“, fragte dann die Logopädin, „schliesslich wurde Ihr Sohn mit Dringlichkeit zu einer Therapie bei uns überwiesen“. „Damit niemand das Gesicht verliert“, schlug ich ihr nach kurzem Überlegen vor, „könnte mein Sohn ja für eine Stunde zu Ihnen kommen und die richtige Aussprache des Buchstabens „s“ üben“. Wir einigten uns darauf.

Noch weitere 29 Stunden für ein “nicht schwerwiegendes Problem”

Tatsächlich bot ihn der Logopädische Dienst nach der einen noch zu weiteren 29 Stunden auf. Bis zum jetzigen Zeitpunkt ist mir nicht klar, warum so viele Therapiestunden nötig waren. Auf jeden Fall besuchte er sie gerne, weil sich die Therapeutinnen unterhaltsame Spiele ausdachten, zum Beispiel Eishockey mit einem Blasrohr. Heute ist mein Sohn 18 Jahre alt und absolviert das dritte Lehrjahr. Er ist mit dem Leben zufrieden und lispelt kein bisschen.

 

 

 

The post Bei der Logopädin first appeared on Condorcet.

]]>
https://condorcet.ch/2019/12/bei-der-logopaedin/feed/ 2
Schule in Jordanien: Frontalangriff! https://condorcet.ch/2019/10/schule-in-jordanien-frontalangriff/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=schule-in-jordanien-frontalangriff https://condorcet.ch/2019/10/schule-in-jordanien-frontalangriff/#comments Tue, 29 Oct 2019 16:31:14 +0000 https://condorcet.ch/?p=2599

Wie schon im Beitrag "Condorcet-Autor besteht erfolgreich einen Arabisch-Kurs in Amman: Wir ziehen den Hut!" (26.9.2019) angekündigt, berichtet nun Daniel Goepfert über seine Erfahrungen in seinem Arabischkurs in Jordanien. Dabei stellt er sich die Frage, weshalb Lehrkräfte es so lieben, Stoff vermittelt zu bekommen. Und warum dies nicht auch für die Schüler gelten soll.

The post Schule in Jordanien: Frontalangriff! first appeared on Condorcet.

]]>
Einen Monat lang genoss Daniel Goepfert den Frontalunterricht

Diesen Herbst weilte ich in Amman, der Hauptstadt Jordaniens, um einen Monat lang Arabisch zu lernen. Die Schule war ein umfunktioniertes Einfamilienhaus mit zwei Stockwerken. Im Garten wurde Tee ausgeschenkt und zur Mittagszeit ein günstiges Essen angeboten. Der Unterricht war traditionell. Erteilt wurde er mehrheitlich von Frauen. Es wurde praktisch nur frontal unterrichtet, zwischendurch gab es Arbeitsaufträge, die wir Lernenden in Einzelarbeit erledigten. Die Lehrerinnen hielten sich an ihr Programm und forderten auch einiges. Da konnte es auch mal ein ungeduldiges „I already told you five times“ (Das habe ich Ihnen schon fünfmal erklärt) absetzen. Ich besuchte einen Monat lang sechs Lektionen am Tag, mit dem Resultat, dass mir das Alphabet (wieder) geläufig war, ich einige grammatikalische Sachverhalte klären und am Schluss eine einfache Konversation führen konnte. Das Lernen war mit einem ziemlichen Aufwand verbunden, weil die arabische Sprache fast keine Gemeinsamkeiten mit den Sprachen hat, die wir hier in der Schweiz sprechen. Anschliessend an das Lernen brauchte es drei Dinge: üben, üben, üben. Am Anfang forderte mich das Ganze sehr, am Schluss war ich mit dem Resultat zufrieden.

Niemand von ihnen wünschte sich viel Gruppenarbeit oder gar Werkstattunterricht.

Nach und nach stellte sich mir eine Frage in Bezug auf unsere schweizerische Schule, an der ich vierzig Jahre lang als Lehrer tätig war. Alle hiesigen Lehrkräfte, mit denen ich über ihre Weiterbildungen sprach, liebten es, möglichst viele Informationen frontal vermittelt zu bekommen und sie dann praktisch anwenden zu können. Niemand von ihnen wünschte sich viel Gruppenarbeit oder gar Werkstattunterricht. Und alle wären enttäuscht gewesen, wenn sich die Unterrichtenden als reine Coaches verstanden hätten, die staunend zugesehen hätten, wie sich die Lernenden ihr Wissen einzeln oder in Gruppen selbständig angeeignet hätten.

Wie kann es aber sein, dass so viele Lehrkräfte einen ganz anderen Unterricht für sich selbst wünschen, als sie ihn zu erteilen müssen glauben?

Auch das soziale Lernen kam beim Frontalunterricht nicht zu kurz.
Bild: D. Goepfert

Wie kann es aber sein, dass so viele Lehrkräfte einen ganz anderen Unterricht für sich selbst wünschen, als sie ihn zu erteilen müssen glauben? Ich höre schon den Einwand, dass für Kinder und Jugendliche nicht dasselbe gelten muss wie für ausgebildete Erwachsene. In der Tat, bei Kindern und Heranwachsenden braucht es einen sanften Einstieg in die Materie, eine Unterteilung des Stoffes in kleine Schritte, viel Abwechslung, ein hohes Mass an Anschaulichkeit, und die gute Beziehung zur Lehrkraft ist noch wichtiger als bei Erwachsenen. Das alles ist aber auch bei Frontalunterricht möglich.

Wirksamste Lehrmethode?

Die arabische Sprache hat fast keine Gemeinsamkeiten mit den Sprachen, die wir hier in der Schweiz sprechen.
Bild: D. Goepfert

Das Rätsel bleibt. Warum lieben Lehrkräfte es so, möglichst viel Stoff frontal vermittelt zu bekommen? Die Antwort ist wohl, dass sie diese Form als die wirksamste erfahren. Warum „füttern“ sie dann aber nicht die Schülerinnen und Schüler zwischendurch mit ausgewähltem Wissen? Warum müssen sich diese so vieles selbständig oder in Gruppen aneignen? Und schliesslich, wenn wir beim Lernen einer Sprache die Erfahrung machen, dass wir üben, üben, üben müssen, warum sollte die Erkenntnis nicht für die Schülerinnen und Schüler gelten?

Ich kann diese Fragen nicht beantworten, habe aber den Eindruck, dass sich in den letzten Jahren ein Druck aufgebaut hat, ausgehend von den Pädagogischen Hochschulen über die Schulleitungen bis zu den Lehrkräften untereinander. Dieser Druck erschwert es der einzelnen Lehrkraft, selbständig zu überlegen, welches die geeignetste Art der Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten sein könnte.

Man mag einwenden, dass es in der Schule nicht nur um Wissensvermittlung geht, sondern auch um das Einüben der sozialen Kompetenzen. Diese kamen während der vier Wochen in Jordanien nicht zu kurz. Unter dem Druck des dichten Programms hielten wir Lernende zusammen und halfen uns gegenseitig.

Am Ende konnte ich meine Arabischkenntnisse in Restaurants, Einkaufsläden und im Fitnessclub einsetzen. Zur Freude der Einheimischen ebenso wie zu meiner eigenen. Dank Frontalunterricht und etwas Drill.

The post Schule in Jordanien: Frontalangriff! first appeared on Condorcet.

]]>
https://condorcet.ch/2019/10/schule-in-jordanien-frontalangriff/feed/ 1
Ist Dummheit lernbar? https://condorcet.ch/2019/04/ist-dummheit-lernbar/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=ist-dummheit-lernbar https://condorcet.ch/2019/04/ist-dummheit-lernbar/#respond Wed, 24 Apr 2019 08:55:47 +0000 https://lvb.kdt-hosting.ch/?p=942

In seinem Buch «Dummheit ist lernbar» gab Jürg Jegge 1976 einigen seiner Sonderschülern das Wort. Der Titel verkaufte sich über 200 000 Mal – ein durchschlagender Erfolg für ein deutschsprachiges pädagogisches Werk. Unter dem Titel «Dummheit ist lernbar» behauptete Jegge, dass Schüler aus der Unterschicht oder, wie er sich ausdrückte, «Lernbehinderte», in der Schule dumm […]

The post Ist Dummheit lernbar? first appeared on Condorcet.

]]>

In seinem Buch «Dummheit ist lernbar» gab Jürg Jegge 1976 einigen seiner Sonderschülern das Wort. Der Titel verkaufte sich über 200 000 Mal – ein durchschlagender Erfolg für ein deutschsprachiges pädagogisches Werk. Unter dem Titel «Dummheit ist lernbar» behauptete Jegge, dass Schüler aus der Unterschicht oder, wie er sich ausdrückte, «Lernbehinderte», in der Schule dumm gehalten würden, um später der kapitalistischen Gesellschaft als folgsame Arbeitskräfte zur Verfügung zu stehen. Der Hype um das Buch dauerte nicht sehr lange. Erst 2016 stand es wieder im Mittelpunkt des Interesses, anlässlich des vierzigsten Jubiläums seines Erscheinens. Viele Schweizer Medien begingen diesen Jahrestag, Jegge wurde erneut als «Lehrer der Nation» gefeiert. Wie eine Bombe schlug ein Jahr später das Buch von Markus Zangger ein, einem Zögling Jegges. Unter dem Titel «Jürg Jegges dunkle Seite» berichtete er von schwerem, wiederholtem sexuellen Missbrauch, der ihm Jegge zugefügt und der Zanggers Leben fast zerstört hatte.

Jegges Thesen werden zum ersten Mal wissenschaftlich beleuchtet

Wiederum ein Jahr später, 2018, veröffentlichten Damian Miller und Jürgen Oelkers im Zytglogge-Verlag eine Relektüre des pädagogischen Bestsellers von Jegge. Unter dem Titel «Ist Dummheit lernbar?» werden nach über vierzig Jahren die verschiedenen Facetten von «Dummheit ist lernbar» zum ersten Mal von wissenschaftlicher Seite beleuchtet. Es wird dabei auf die Wirkungsgeschichte, auf die verwendeten Metaphern sowie auf die juristischen und psychoanalytischen Begriffe eingegangen, die Jegge als Nicht-Fachmann verwendete. Es wird der verharmlosende Umgang führender Emanzipationspädagogen mit dem Thema sexuelle Gewalt besprochen, namentlich an der deutschen Odenwaldschule, neben einigen anderen Themen.

… ein überfälliges Buch

Damian Miller leitet den Fachbereich Bildungs-und Sozialwissenschaften an der Pädagogischen Hochschule Thurgau, Jürgen Oelkers war bis zu seiner Pensionierung Professor für Allgemeine Pädagogik an der Universität Zürich. Das Buch, das sie herausgegeben haben, war überfällig und empfiehlt sich allen, die sich beruflich oder aus anderem Interesse mit pädagogischen Inhalten beschäftigen; Pflichtlektüre ist es für jene, die Jegges Buch gelesen und verinnerlicht hatten. Die Frage, warum es so lange dauerte, bis diese Relektüre stattfand, lässt sich nur ansatzweise beantworten. Jegge selbst trug dazu bei, indem er mögliche Kritiker auf Vorrat diskreditierte. Bei den Schülern und Eltern sagte er «Widerstände» voraus, ohne zu verraten, wie er den von Sigmund Freud, dem Begründer der Psychoanalyse, geprägten Begriff verwendet. Die bürgerliche Gesellschaft gibt laut Jegge der Schule den Auftrag, die Kinder dumm und gefügig zu halten, und den Lehrkräften (natürlich mit einer Ausnahme) kommt dabei die Rolle von Erfüllungsgehilfen zu. In diesem Setting hätte sich jeder Kritiker dem Verdacht ausgesetzt, Komplize des repressiven politischen und gesellschaftlichen Systems zu sein.

Wie war es möglich, dass sich der Lehrer Jegge ohne jede Qualifikation zum Therapeuten erklärt?

Was können wir aus dem vorliegenden Werk «Ist Dummheit lernbar?» lernen? Zum einen, dass es auch bei einer sorgfältigen zweiten Lektüre nicht möglich ist, die kriminelle Seite Jegges in seinem Buch zu erkennen. Es kann nur festgestellt werden, dass er das Thema Sexualität systematisch ausklammert, obwohl er sich auf Sigmund Freud und Wilhelm Reich beruft – beides Psychoanalytiker, die ihr eine wichtige Funktion zuschreiben. Andere Aspekte des Buchs hätten allerdings schon damals hellhörig machen müssen: Dass sich der ausgebildete Lehrer Jegge ohne jede Qualifikation zum Therapeuten erklärt und seine Aufgabe als Lehrer als zweitrangig bezeichnet, hätte eigentlich schon bei Erscheinen des Buchs auf Widerspruch stossen müssen. Einen solchen Mangel an Professionalität zur Tugend zu erheben, ist im besten Fall provokativ. Darüber hinaus zelebriert Jegge geradezu die Distanzlosigkeit seinen Schutzbefohlenen gegenüber. Er berichtet wiederholt davon, wie er Schüler zu sich nach Hause genommen hat. Dabei kritisiert er die «kleinkarierten» Schulbehörden, welche diese Besuche beanstandet haben. Dass es kein Verfahren gab, verdankte Jegge wohl einzig seinem Renommée.

Jegge zelebrierte geradezu die Distanzlosigkeit

Wir erhalten aus den unterdessen ans Tageslicht getretenen Verfehlungen die Bestätigung, dass eine professionelle Einstellung zum Beruf und, damit verbunden, eine gewisse Distanz zu den Schülern notwendig ist und dass auch der fortschrittlichste pädagogische Versuch kritisch hinterfragt werden muss. Schliesslich gilt es, der Wissenschaft den Rang zurückzugeben, den sie verdient. Das Buch «Ist Dummheit lernbar?» zeigt, wie korrektes wissenschaftliches Vorgehen auszusehen hat. Die Autoren gehen sorgfältig an den Text heran und jede Aussage wird belegt. Der Preis der Wissenschaftlichkeit ist, dass die Resultate nicht so spektakulär und widerspruchsfrei sind wie die Aussagen Jegges. Dessen Methodik ist unhaltbar, die Aufteilung der pädagogischen Welt in Gut und Böse, wie in einem Märchen, zu einfach. Inzwischen ist auch erwiesen, dass er die Berichte, in denen er seine Zöglinge sprechen liess, massiv verfälscht hat, um die Eltern schlechter und sich selbst besser dastehen zu lassen.

Was kümmert mich die Wissenschaft, wenn meine Gesinnung die richtige ist?

Wertvoll ist das Buch «Ist Dummheit lernbar?» aber nicht nur für die Vergangenheitsbewältigung. Jegges Haltung «Was kümmert mich die Wissenschaft, wenn meine Gesinnung die richtige ist?» geistert auch heute noch durch die pädagogische Landschaft. So liessen sich die Verantwortlichen bei der Einführung des Frühfranzösisch durch den Leitspruch «Je früher desto besser» leiten, ohne ihn in Frage zu stellen. Es wurden weder im Kanton Bern noch in Basel-Stadt Ziele festgelegt, entsprechend konnte keine Kontrolle stattfinden. Eine wissenschaftliche Studie, die belegte, dass der frühe Beginn des Sprachunterrichts keine langfristige Verbesserung der Sprachkenntnisse mit sich bringt, wurde von Verantwortlichen der involvierten Erziehungsdirektionen als unwissenschaftlich angeprangert.

Fazit: Pädagogik darf kein Tummelfeld für Ideologen sein!

«Ist Dummheit lernbar?» bringt uns wichtige Erkenntnisse über Jegges Elaborat, aber auch über die Zeit, in die es eingebettet ist. Es zeigt uns durch seinen Inhalt, aber auch durch die wissenschaftliche Vorgehensweise der Autoren, dass die Pädagogik kein Tummelfeld für Ideologen sein darf und dass es zu einem sorgfältigen, rationalen Vorgehen keine Alternative gibt.

Noch heute werden die Lehrer als Stundenerteiler diffamiert.

Ein persönliches Wort zum Schluss. Ein paar Jahre nach Erscheinen von Jegges Buch «Dummheit ist lernbar» drückte es mir der damalige Direktor der Kleinklassen Basel-Stadt in die Hand. Er gab zu verstehen, dass ich mich nicht mehr zu zeigen brauche, bevor ich es gelesen hätte. Ich schaffte es nicht, das ganze Buch zu lesen. Ich schämte mich, einfach nur als Lehrer mein Bestes zu geben. Jegge hatte dafür eine polemische Bezeichnung: «Stundenerteiler». Wie gering war der Wert meiner Tätigkeit als normaler Lehrer im Vergleich zum Wirken von Pädagogen, die sich nicht als blosse Wissensvermittler sahen.  Diese Einstellung wirkt bis heute: Es gibt im Kanton Basel-Stadt praktisch keine Gesamtkonferenz der Lehrkräfte, in der nicht ein engagierter Leiter oder eine begeisterte Leiterin einer meist privaten Schule aus einem privilegierten Vorort auftreten und den Lehrkräften erklären, wie Schule eigentlich auszusehen hätte, jenseits von ihren popeligen Lektionen. Das Buch «Ist Dummheit lernbar?» bestätigt mich in meiner heutigen Meinung, dass sich Begeisterung und Professionalität, Nähe und Distanz sowie Integration und Separierung die Waage halten müssen.

 

 

The post Ist Dummheit lernbar? first appeared on Condorcet.

]]>
https://condorcet.ch/2019/04/ist-dummheit-lernbar/feed/ 0