Kommentare zu: Schulen vergeuden zu viel Potenzial https://condorcet.ch/2023/08/schulen-vergeuden-zu-viel-potenzial/ Bildungsperspektiven Thu, 17 Aug 2023 07:17:14 +0000 hourly 1 Von: Felix Schmutz https://condorcet.ch/2023/08/schulen-vergeuden-zu-viel-potenzial/#comment-1160 Thu, 17 Aug 2023 07:17:14 +0000 https://condorcet.ch/?p=14823#comment-1160 Frau Clarita Kunz Matossis Beitrag entwirft wieder einmal einen Plan von der idealen Schule, während sie am gegenwärtig praktizierten Unterricht keinen guten Faden lässt, ihn im Gegenteil als vollkommen verfehlt darstellt. Allerdings strotzt ihr Text vor falschen Behauptungen und einigen Verdrehungen:

1. «…denn separierte Lernende werden diskriminiert.»
Eine dänische Metastudie, die 21’000 Untersuchungen erfasst hat, wovon lediglich 94 überhaupt Vergleiche anstellen und die alle im Übrigen als «biased», also wissenschaftlich anfechtbar, taxiert werden, kommt zum Schluss, dass Kinder in integrierten Klassen nicht besser lernen und nicht weniger stigmatisiert werden als in separierten Klassen.

2. «denn die Unterrichtsart hat mehr Einfluss auf den Lernerfolg als der [Einsatz] der Lehrperson». Hattie kann belegen, dass der Einsatz und die Professionalität der Lehrperson weitaus die grösste Effektstärke für gelingenden Unterricht haben, während organisatorische Massnahmen keine signifikante Wirkung zeigen. Es kommt – bei welcher Organisationsform auch immer – erstens, zweitens und drittens auf die Lehrperson an. Punkt!

3. «[Zur Förderung aller] brauche es viel mehr personelle und finanzielle Resourcen.»
Es ist belegt, dass die Schweiz viel höhere finanziellen Mittel einsetzt als Länder, deren Kinder bei PISA besser abschneiden. Auch der Vergleich der Kantone untereinander zeigt, dass Basel mit den höchsten Ausgaben punkto Schülerleistung als eines der Schlusslichter dasteht. Die Kosten für die Bildung sind in den letzten 20 Jahren explodiert, ohne dass sich dies auf die Chancengleichheit ausgewirkt hätte.

4. Die Massnahmen zur Individualisierung, die Kunz Matossi aufzählt (Wochenpläne, Werkstattunterricht, Projektunterricht, Lernlandschaften) werden schon lange praktiziert. Sie haben die Chancengerechtigkeit nicht erhöht. Im Gegenteil: Die schwächeren Schüler profitieren am meisten von einem geführten Unterricht. Belege dazu kann Hattie zu Hauf anführen. Die Kinder, die «selbstorganisiert» lernen, sind aus Gründen der Lernpsychologie, die Kirschner et. al. anführen, und die auch durch die Lernforschung (ETH, Elsbeth Stern) bestätigt werden, klar schlechter dran als diejenigen, die didaktischen Aufbau im geführten Unterricht durch die direkte Instruktion erfahren.

5. Auch bei der Ausschüttung von noch mehr Ressourcen wird der total individualisierte Unterricht – ein Hauslehrer für jedes Kind – nicht möglich sein. Die Schule muss den Unterricht immer für Gruppen organisieren. Das bedeutet, dass neben dem didaktisch-methodischen Aspekt immer auch soziale Effekte in den Unterricht hereinspielen, dessen Wirkungen auf das Lernen dauernd unterschätzt werden.

So gilt, dass Gruppen geführt werden müssen, eine gemeinsame Zielvorstellung muss entwickelt werden, um die Gruppe voranzubringen. Der Gruppendynamik kann man auch nicht mit organisatorischen Massnahmen ausweichen, wie es sich Individualapostel erträumen, denn Kinder und Jugendliche interagieren ständig konstruktiv und destruktiv miteinander. Erzieherisch ist wichtig, dass sich Einzelne einfügen lernen, denn die Welt wird sich später auch nicht auf Einzelne ausrichten, sondern die Einzelnen müssen sich in die Welt einordnen mit all ihren Stärken und Schwächen.

Die von Kunz Matossi empfohlenen «Reformideen» würden dazu führen, dass die Schulen wie so viele Massnahmen der vergangenen Jahre (Inklusion, Frühfremdsprachen, Altersdurchmischung, selbstorganisiertes Lernen) noch mehr Potenzial vergeuden würden als je.

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