Kommentare zu: Wissens- versus Kompetenzorientierung – eine unselige Polarisierung https://condorcet.ch/2023/02/wissens-versus-kompetenzorientierung-eine-unselige-polarisierung/ Bildungsperspektiven Sat, 18 Feb 2023 20:33:34 +0000 hourly 1 Von: Felix Schmutz https://condorcet.ch/2023/02/wissens-versus-kompetenzorientierung-eine-unselige-polarisierung/#comment-961 Sat, 18 Feb 2023 20:33:34 +0000 https://condorcet.ch/?p=13119#comment-961 Franz Eberle beansprucht für seine Ausführungen Ideologiefreiheit. Er unterstellt, Kritiker des kompetenzorientierten Lehrplans verstünden den Begriff «Kompetenz» nicht richtig. Er findet, Kompetenzen seien auch im gymnasialen Lehrplan wünschbar zur Aktualisierung der Vorbereitung auf die Studierfähigkeit. Hat er Recht?
Seinen Ausführungen muss in verschiedener Hinsicht widersprochen werden.

1. Der psychologische Begriff der «Dispositionen», welche die Lösung von Problemen ermöglichen sollen, stammt ursprünglich aus der Intelligenzforschung und meint die kognitiven Anlagen, die Menschen im Zusammentreffen mit ihrer Lebensumwelt entwickeln. Kompetenz bezieht sich auf Dispositionen, die im schulischen Unterricht erworben werden können. Eine Trennung zwischen Fähigkeiten, die der Intelligenz und dem Schulunterricht geschuldet sind, ist schwierig: «Tatsächlich sind die empirischen Zusammenhänge zwischen Kompetenz- und Intelligenzmassen … recht hoch.» (1)

2. Hartig und Klieme, auf deren Definition der schulische Kompetenzbegriff beruht, fassen Kompetenz deshalb enger, als Eberle wahrhaben will. Für sie sind Kompetenzen (2):
1. begrenzt auf «Spezialisierte Systeme von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die notwendig oder hinreichend sind, um ein spezifisches Ziel zu erreichen.»,
2. im Gegensatz zur vorbestehenden Intelligenz «prinzipiell erlernbare, mehr oder minder bereichsspezifische Kenntnisse, Fertigkeiten und Strategien»,
3. in Teilkompetenzen gegliederte «nach den Inhalten der interessierenden Situationen, der relevanten Aufgaben und den zur Lösung dieser Aufgaben zu bewältigenden Anforderungen.»
Daraus folgt, dass die von Eberle erwähnten motivationalen und volitionalen Elemente im schulischen Konzeptbegriff nicht erfasst sind. Mit gutem Grund, denn sie entziehen sich der Messbarkeit. Eberle formuliert also Kompetenz klar anders als die pädagogische Psychologie, wenn er ihn viel weiter fasst.

3. Eberle erklärt, das gymnasiale Bildungsziel sei nicht «beliebig», sondern auf die «Studierfähigkeit» ausgerichtet. Wissen und Können müssten breitgefächert genug sein, um ein Studium zu ermöglichen. Da stellt sich die Frage, was daran neu sei. Studierfähigkeit ist seit je das Ziel des Gymnasiums. Wenn das Gymnasium nun daran geht, in Teilkompetenzen auseinanderzudividieren, was Studierfähigkeit in den einzelnen Fächern und fächerübergreifend eigentlich genau beinhaltet, darf man sich auf gewaltige Schwaden heisser Luft nach dem Modell des Lehrplans 21 gefasst machen. Insbesondere dann, wenn zu den abstrakten Leistungsdispositionen noch die motivationalen und volitionalen Dispositionen treten sollen. Die Zerstückelung der Bildung in Einzelhäppchen, ob fachliche oder fächerübergreifende, ist jedoch der beste Weg zur Verhinderung von Studierfähigkeit, denn dort ist ganzheitliches Denken und Verstehen gefordert.

4. Die Hauptkritik des Bildungsbegriffes auf der Grundlage von Kompetenzen kann Eberle nicht entkräften. Ja, er bestätigt die Kritiker in seiner Argumentation geradezu. Die Kritik besteht darin, dass die Bildung junger Menschen in Eberles Gymnasialprogramm von Anfang an verzweckt wird. Lernwürdig ist nur, was direkt auf das Ziel «Vorbereitung auf das Studium» ausgerichtet werden kann. Damit werden Gymnasiastinnen und Gymnasiasten zu «tools» (Noam Chomsky)(3), zu Werkzeugen, deren Entwicklung von aussen auf Nützlichkeit und Brauchbarkeit getrimmt werden soll.

5. Das erste Ziel von Bildung müsste jedoch die vom Individuum her gedachte möglichst kohärente Förderung und Entwicklung der eigenen Anlagen sein. Nützlichkeit und Brauchbarkeit für Berufsausbildung, Studium und Lebensgestaltung können sich erst daraus ergeben. Ein demokratisches Bildungsverständnis ermöglicht den Menschen, selbst zu entscheiden, was sie mit dem erworbenen Wissen und Können tun wollen. Dieses Verständnis von Bildung rechtfertigt und bedingt ein breites Fächerangebot, das auch das gestalterische Feld einschliesst. Die prioritäre Einengung auf Kompetenzen hingegen blendet den ganzen Kennenlern-, Verstehens- und Lernprozess aus, der nötig ist, um Neues zu erfahren, sich zu begeistern, Dinge kognitiv zu verarbeiten und sich eigene Ziele zu setzen. Für Eberle reicht es, wenn die Maturi und Maturae im Sinne der Aufgabenbewältigung an der Universität «funktionieren» können.

1 Johannes Hartig, Eckhard Klieme, Kompetenz und Kompetenzdiagnostik in: Karl Schweizer Leistung und Leistungsdiagnostik, Heidelberg 2006, S.131

2 ebd. S. 128ff.

3 Noam Chomsky, On Education, Vortrag, http://www.youtube.com/watch?v=2p9aKa08cRI

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Von: Franz Lemmermeyer https://condorcet.ch/2023/02/wissens-versus-kompetenzorientierung-eine-unselige-polarisierung/#comment-959 Sat, 18 Feb 2023 18:15:34 +0000 https://condorcet.ch/?p=13119#comment-959 Wenn schon das erste Wort, also “Wissensorientierung”, ein klassischer Strohmann ist, muss man das wohl nicht lesen.

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Von: Daniel Vuilliomenet https://condorcet.ch/2023/02/wissens-versus-kompetenzorientierung-eine-unselige-polarisierung/#comment-958 Sat, 18 Feb 2023 16:12:10 +0000 https://condorcet.ch/?p=13119#comment-958 Ich habe den Erwerb von Wissen und Kompetenz in meiner Flugausbildung erfahren. Als Spätberufener erwarb ich meinen Segelfluschein mit 57. Seit etwa 8 Jahren fliege ich auch mit Passagieren.
Im Theorieunterricht wurde viel Wissen verarbeitet. Doch erst in der praktischen Anwendung erfährt dieses Wissen greifbaren Wert. Ist dann noch ein Passagier auf dem hinteren Sitz, kommt ein weiteres Element, nämlich das der erweiterten Verantwortung, hinzu.
Ergo reicht büffeln alleine nicht – die Anwendung des Gelernten erfüllt. So einfach ist das.

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