Kommentare zu: Berlins «härtester» Schulleiter darf weitermachen https://condorcet.ch/2020/06/berlins-haertester-schulleiter-darf-weitermachen/ Bildungsperspektiven Fri, 05 Jun 2020 13:24:22 +0000 hourly 1 Von: Hanspeter Amstutz https://condorcet.ch/2020/06/berlins-haertester-schulleiter-darf-weitermachen/#comment-265 Fri, 05 Jun 2020 13:24:22 +0000 https://condorcet.ch/?p=5229#comment-265 Als Antwort auf Yasemin Dinekli.

Eindrücklich, was Yasemin Dinekli schreibt. Sie bestätigt, was unzählige Lehrerinnen und Lehrer beim Einstieg in den Schulalltag erleben. Wer mit schwierigen Klassen gut auskommen und die Schüler fürs Lernen gewinnen will, muss bereit sein, eine klare Führungsrolle zu übernehmen.
Nicht nur in Berlin, auch bei uns sind viele Studierende für diese Aufgabe nur unzureichend vorbereitet. Die Engagierten merken aber rasch, dass eine gewisse Strenge und pädagogische Festigkeit zur Führung einer Klasse unumgänglich ist. Prägend in dieser Anfangsphase ist das Kollegium im eigenen Haus. Wo ein Lehrerkollegium Mut zeigt und pragmatisch die gestellten Aufgaben löst, läuft es eindeutig besser.
Leider gibt es mancherorts Schulteams, bei denen brave Anpassung an hierarchische Strukturen mehr zählt als ein offener Dialog über gute Wege in der Pädagogik. Das ist sicher eine unerfreuliche Entwicklung in der Schweizer Schullandschaft. Duckmäusertum passt in keiner Weise zu unserem Demokratieverständnis, das ein starkes Urteilsvermögen seiner Stimmbürgerinnen und Stimmbürger voraussetzt.
Ein Grund für diese Ängstlichkeit mancher Lehrpersonen mag darin liegen, dass in der aktuellen Pädagogik der Dialog zwischen Theorie und Praxis allzu oft nicht mehr auf Augenhöhe stattfindet. Bedenklich ist, wenn fundierte Kritik von Schulpraktikern missachtet und gehorsames Ausführen hingegen als höhere Tugend eingeschätzt wird. Umso mehr freue ich mich, wenn Lehrerinnen wie Yasemin Dinekli mit einem klaren Urteilsvermögen viel Mut im täglichen Schulbetrieb zeigen und ihrer überzeugenden Linie treu bleiben.

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Von: Yasemin Dinekli https://condorcet.ch/2020/06/berlins-haertester-schulleiter-darf-weitermachen/#comment-263 Wed, 03 Jun 2020 19:02:47 +0000 https://condorcet.ch/?p=5229#comment-263 Ich habe 8 Jahre in Berlin unterrichtet, davon 6 an einer Gesamtschule in Spandau, als sogenannte Brennpunktschule ein ähnliches Pflaster wie die Friedrich Bergius-Schule. Die Verhältnisse sind mir also bekannt. Wir hatten auch mit manchen Seltsamkeiten zu kämpfen, z.B. dass die Lehrerausbildner der Sekundarstufe immer Stunden mit dem neuesten didaktischen Schnicksack sehen wollten, die bei diesen Schülern definitiv nicht funktionierten und die solche Lektionen in der Regel boykottierten. In Vorführ- oder Examensstunden mussten wir die Schüler daher um ein Ausnahmeverhalten zugunsten der Referendare bitten, damit diese ihre Prüfungen bestanden. Die Schüler haben zwar gerne mitgespielt, waren aber froh, wenn wir wieder zum “Bandenführerstil” übergingen, sprich: eng geführter Klassenunterricht mit hoher Ausrichtung auf die Lehrperson. Experimentiert wurde immer erst dann, wenn die Bindungen stabil waren und die “Hierarchiefrage” definitiv als geklärt galt. Unsere Schule war von vielen Alt-68ern aufgebaut worden, die alle von ihrem emanzipatorisch-partizipatorischen Ansatz aufgrund des Scheitern bei dieser Schülerklientel abgerückt waren. Das neue und sehr gut funktionierende Credo hiess: Null-Toleranz gegenüber physischer, verbaler Gewalt und Vandalismus, demonstrativer Opferschutz, Disziplin und eine einheitliche Haltung von Lehrerschaft und Schulleitung, die sehr präsent sein musste und es auch war. Es war ein Fest zu erleben, wie gut das funktionierte, wie schnell man so hartgesottene “Halunken” zur Raison brachte und wie sehr die Schülerschaft als Ganzes davon profitierten. Auch für Schüler aus prekären Verhältnissen wurde die Schule ein sicheres “Zuhause”, in dem sie sich beruhigen und lernen können. Nachdem ich die Schule verlassen hatte, wurde der Schulleiter krank und zwei Jahre lang nicht ersetzt. Aufgrund von Sparmassnahmen wurden zudem die Klassengrösse von maximal 30 (eh schon enorm hoch, aber mit klarer Führung machbar) auf bis zu 34 hochgesetzt und die Pflichtlektionenzahl unbezahlt um 2 Lektionen erhöht. Ich habe zwei meiner stabilisten Kollegen, wahre “Felsen in der Brandung”, bald darauf in der Klinik besuchen müssen mit Burnout-Diagnose. Ohne einen Schulleiter wie Michael Rudolph droht das Gleiche der Friedrich-Bergesius-Schule. Apropos Burnout: Als ich 2000 in die Schweiz kam, gab es dieses Phänomen hier nicht. In Deutschland dagegen traf es gut 10 % der Lehrerschaft in manch einer Schule. Inzwischen haben wir hier sogar im Gymnasium die ersten Kollegen mit Burnout-Problematik. Woran das wohl liegen mag?

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