Kommentare zu: Im Nachklang zum «Hype ums Gymnasium» https://condorcet.ch/2019/10/im-nachklang-zum-hype-ums-gymnasium/ Bildungsperspektiven Thu, 10 Oct 2019 21:37:11 +0000 hourly 1 Von: Felix Schmutz https://condorcet.ch/2019/10/im-nachklang-zum-hype-ums-gymnasium/#comment-127 Wed, 02 Oct 2019 18:33:22 +0000 https://condorcet.ch/?p=2298#comment-127 Die Reaktionen auf den Artikel «Hype ums Gymnasium» von Carl Bossard veranlassen mich zu folgendem Klärungsversuch:

1. Die Schweiz hat sich längst bemüht, das duale Bildungssystem dahingehend auszubauen, dass die Gleichwertigkeit der beruflichen Ausbildung gewahrt bleibt. In den 90-er Jahren des letzten Jahrhunderts wurden nämlich die Fachhochschulen ins Leben gerufen, die auch Jugendlichen, die den Weg über einen Lehrberuf gewählt haben, ein Studium auf jedem gewerblichen, technischen und künstlerischen Gebiet ermöglichen. Auch der Umstieg auf ein universitäres Studium ist via Passerelle noch möglich. Dieses System hat sich bewährt, die Jugendarbeitslosigkeit ist praktisch inexistent, die Berufsleute leiden nicht unter Minderwertigkeit, ihre finanziellen Erfolgsmöglichkeiten sind intakt.

2. Carl Bossard wollte in seinem Beitrag nicht «Gescheite» von «Dummen» absondern. Hingegen spielte er auf eine auch von der Lernforscherin Elsbeth Stern, ETH, unterstützte Tatsache an, dass die rein kognitive Begabung (gemeint damit: logisches Denken in Mathematik, Sprache, die Abstraktionsfähigkeit, das Tempo, mit der Denkoperationen bewältigt werden können) nun einmal unterschiedlich stark bei Menschen ausgebildet ist. Menschen, die über diese theoretische Begabung schon als Kind verfügen, sind für Mathematik, Natur- und Geisteswissenschaften prädestiniert. Sie lösen Aufgaben in diesen Bereichen mit einer gewissen Leichtigkeit. Später erarbeiten sie u.a. die mathematischen, physikalischen,
naturwissenschaftlichen Grundlagen, auf denen Ingenieure, Techniker, Gewerbler aufbauen können. Das Gymnasium bietet diesen Jugendlichen die Möglichkeit, ihre spezifischen Fähigkeiten auszubilden. Das sagt bei nüchterner Betrachtung nicht, dass sie mehr wert seien als andere, sondern das ermöglicht ihnen, den für sie geeigneten Beitrag im Leben zu leisten. Ob Albert Einstein den Bauernhof so gut hätte ausbauen können wie der Schreiner von Claudia Meier, ist stark zu bezweifeln. Allerdings auch, ob der Schreiner die Formel E = mc2 gefunden hätte. (Nein, Einstein war kein Schulversager: In seinem Maturzeugnis der Kantonsschule Aarau stand: Mathematik 6, Physik 6).

3. Wer die Schülerinnen und Schüler am Gymnasium als «Gescheite» beneidet und glaubt, die andern in Schutz nehmen zu müssen, hält im Grunde das alte Prestigedenken am Leben, das durch die Einführung von Fachhochschulen längst obsolet geworden ist. Dieses falsche Prestigedenken geht von dem verhängnisvollen Impuls aus: Wie kann mein Kind den höchsten Status mit dem besten Lohn erreichen? Der richtige Impuls wäre: Welche Interessen und Fähigkeiten hat mein Kind, was ist dafür der beste Weg? Noch nie standen Jugendlichen beiden Geschlechts (einschliesslich LGBT) so viele Wege offen wie heute. Die Möglichkeit, den eingeschlagenen Weg zu korrigieren, ist heute auch leichter zu verwirklichen. Für das Prestigedenken kann man aber nicht das Gymnasium verantwortlich machen. Es wird auch nichts damit gewonnen, wenn das Gymnasium für alle geöffnet wird, weil dann das Niveau unweigerlich sinkt.

4. Die Definition von kognitiver Intelligenz ist ein psychologisches Konstrukt. Es sagt nichts darüber aus, welche handwerklichen, sozialen, künstlerischen, motorisch-sportlichen, politischen Fähigkeiten jemand hat. Aber dieses Konstrukt hat sich insofern bewährt, als es Leute mit dem Potenzial für wissenschaftliche Studien in den letzten hundert Jahren gut identifizieren konnte. Arztpersonen, Theologinnen/Theologen, Lehrpersonen, Juristinnen und Juristen, etc. können sich ihre Kenntnisse nur aneignen und ihre Aufgaben nur wahrnehmen, wenn sie über das notwendige Quantum an kognitiver Intelligenz verfügen.

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